Raymond Halaczinsky, Ulrich Gohlisch
a) Gewahrsam
Rz. 82
Das Gesetz mutet dem inländischen Gewahrsamsinhaber eine Art Garantenstellung zu. Gewahrsamsinhaber können Nachlasspfleger, Nachlassverwalter, Testamentsvollstrecker, Erbschaftsbesitzer und Kreditinstitute sein. Rechtsanwälte und Steuerberater können nur dann Gewahrsamsinhaber sein, wenn sie Vermögen im Auftrag des Erblassers – nicht des Erben – im Besitz haben. Die Haftung ist beschränkt auf das zur Verfügung gestellte Gewahrsamsvermögen.
Rz. 83
Der Begriff "Gewahrsam" ist weit auszulegen. Unter den Begriff "Gewahrsam am Vermögen des Erblassers" fallen auch Sparguthaben. Bestehen am Todestag Oder-Konten oder Oder-Depots, ist die Haftung der Banken ungeachtet des Verfügungsrechts des überlebenden Ehegatten auf den Anteil des Verstorbenen beschränkt. Gewahrsam am Vermögen des Erblassers hat nur das Geldinstitut, bei dem es sich zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers befindet. Durch die danach erfolgte Überweisung an andere Geldinstitute geht der Gewahrsam am Erblasservermögen und damit die Haftung nach § 20 Abs. 6 S. 2 ErbStG trotz eines entsprechenden Hinweises auf die Herkunft dieser Mittel nicht auf diese über. Anders sieht es dagegen bei Ander- oder Treuhandkonten aus.
Rz. 84
Als Gewahrsam gilt auch der bei Schließfächern bestehende Mitgewahrsam der Geldinstitute. Zur Verfügung gestellt wird bei einem Schließfach dessen Inhalt auch dann, wenn das Geldinstitut dem Berechtigten die Entnahme von zum Erblasser-Vermögen gehörenden Gegenständen gestattet. Die Finanzämter können zur Entlassung aus dieser Haftung Unbedenklichkeitsbescheinigungen dann uneingeschränkt erteilen, wenn dem Finanzamt eine Bestätigung des Geldinstituts oder eines Notars über den – bei der erstmaligen Öffnung des Schließfachs nach dem Tod des Erblassers festgestellten – Schließfachinhalt vorgelegt wird oder wenn ein vom zuständigen Finanzamt beauftragter Beamter zur Sichtung des Inhalts zugezogen wird. In diesem Kontext steht auch die Frage in Zeile 18 und 19 des Mantelbogens der Erbschaftsteuererklärung, ob der Erblasser ein Schließfach unterhielt und welche Gegenstände/Werte sich im Schließfach befanden.
b) Kein Gewahrsam des Bevollmächtigten
Rz. 85
Hat der Erbe den Gewahrsam an Vermögensgegenständen aus dem Nachlass auf einen Bevollmächtigten übertragen, hat der Bevollmächtigte keinen Gewahrsam an Vermögensgegenständen des Erben. Soweit sich aus der Entscheidung des BFH vom 12.8.1964 eine andere Auffassung entnehmen lässt, hält der Senat daran nicht mehr fest.
c) Vorsatz oder Fahrlässigkeit des Gewahrsamsinhabers
Rz. 86
Die Haftung setzt ein – von Seiten des Finanzamts nachzuweisendes – Verschulden voraus. Ein Verschulden ist anzunehmen, wenn der Gewahrsamsinhaber keinerlei geeignete Vorkehrungen getroffen hat, um (Aus-)Zahlungen oder Auskehrungen von Nachlassguthaben an ausländische Berechtigte bzw. ins Ausland zu verhindern. Siehe auch Rdn 90.