Rz. 8

Für die Erbschaft- und Schenkungsteuer gelten für den Beginn der Verjährungsfrist Sonderregelungen, nach der die Frist für Erwerbe von Todes wegen erst dann zu laufen beginnt, wenn der Erwerber Kenntnis vom Erwerb hat (§ 170 Abs. 5 Nr. 1 AO). Bei gewillkürter Erbfolge erlangt der Erbe Kenntnis von dem Erwerb, wenn er die Gewissheit erlangt hat, dass er aufgrund der letztwilligen Verfügung des Erblassers zum Erben eingesetzt wurde und keine objektiv erkennbaren Zweifel an dem Bestand der letztwilligen Verfügung bestehen. Spätestens mit Eröffnung des Testaments bzw. wenn der Erwerber die Anzeige nach § 30 ErbStG erstattet, wird ihm der Erwerb bekannt sein müssen. Im Falle des Eintritts der gesetzlichen Erbfolge ist von der Kenntnis des Erben mit Abschluss des Erbstreits und Ausstellung des Erbscheins auszugehen. Erst zu diesem Zeitpunkt kann der Erbe sicher davon ausgehen, dass kein Verwandter einer vorhergehenden Ordnung vorhanden ist und zu welchem Anteil er am Erbe beteiligt ist.[12] Macht der Erwerber geltend, dass die Verjährung eingetreten ist, wird er belegen müssen, dass er nicht erst bei der Erstattung der Anzeige, sondern bereits zu einem früheren Zeitpunkt Kenntnis vom Erwerb hatte. Allerdings wird der Erwerber dann erläutern müssen, warum er die Anzeige nicht in der nach § 30 ErbStG vorgeschriebenen Frist erstattet hat. Insoweit das Finanzamt hierin ein nach § 370 AO relevantes Verhalten sieht, verlängert sich die Festsetzungsfrist auf zehn Jahre (§ 169 Abs. 2 S. 2 AO). Bei einer Schenkung beginnt die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf des Jahres, in dem der Schenker verstorben ist oder das Finanzamt hiervon Kenntnis erhalten hat (§ 170 Abs. 5 Nr. 2 AO). Regelmäßig wird das Finanzamt durch die Anzeige des Notars nach § 34 ErbStG Kenntnis von der bewirkten Schenkung erhalten. Diese muss jedoch an die organisatorisch zur Verwaltung der Erbschaftsteuer und Schenkungsteuer berufene Dienststelle des Finanzamtes gerichtet sein.[13] Die anderweitig erlangte Kenntnis der Erbschaftsteuerstelle lässt die Festsetzungsfrist nur dann anlaufen, wenn hinreichend Angaben (Name und die Wohnung des Schenkers und des Bedachten sowie Angabe des Rechtsgrundes des Erwerbs)[14] vorhanden sind. Positive Kenntnis des Finanzamtes liegt erst vor, wenn die maßgeblichen Schenkungsurkunden vorliegen, eine Schenkungsteuererklärung eingegangen ist oder die Betriebsprüfung eine den Schenkungsvorgang betreffende Kontrollmitteilung geschickt hat.[15]

 

Rz. 9

 

Beispiel

A schenkt B am 20.12.1987 einen Gesellschaftsanteil. Der Vorgang wurde versehentlich nicht angezeigt. Nach einer Betriebsprüfung teilte das Betriebsfinanzamt der Erbschaftsteuerstelle die Schenkung im Jahr 1996 mit. Mit Bescheid vom 10.6.1997 wurde Schenkungsteuer gegen B festgesetzt. B macht geltend, dass das Finanzamt bereits durch die Fortführung der Buchwerte im Rahmen seiner Einkommensteuererklärung 1989 erkannt hat, dass eine Schenkung erfolgt ist. Da entgegen der Einschätzung des B auf die Kenntnis der für die Schenkungsteuer zuständigen Dienststelle abzustellen ist, lief die Frist erst im Jahr 1996 an, so dass im Jahr 1997 noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten ist.[16]

 

Rz. 10

Allerdings schieben die Regelungen der Absätze 2 und 5 des § 170 AO die Frist nicht kumulativ hinaus. Richtet sich der Beginn nach § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO, bleibt für eine weitere Anlaufhemmung nach Absatz 2 kein Raum, da mit Kenntnis der Erbschaftsteuerstelle von den wesentlichen Umständen des Erwerbsfalles hinreichend Zeit für die Festsetzung der Steuer bleibt.[17] Für eine neuerliche Anlaufhemmung durch die Anforderung einer Steuererklärung besteht kein hinreichendes Schutzbedürfnis.

 

Beispiel

A verkauft an B ein Aktienpaket weit unter Wert, das B dem A am 10.4.1991 zum Verkehrswert zurückverkauft. Nach Betriebsprüfung teilt das Betriebsfinanzamt der Erbschaftsteuerstelle den Sachverhalt am 10.4.1995 mit. B wird zur Abgabe einer Steuererklärung aufgefordert, die er am 20.4.1998 abgibt. Die Steuer wird am 20.4.2001 festgesetzt. Kenntnis hatte die Erbschaftsteuerstelle durch Mitteilung am 10.4.1995, so dass die Festsetzungsfrist am 1.1.1996 zu laufen beginnt und am 31.12.1999 endet. Durch die Aufforderung zur Abgabe einer Erklärung wird der Beginn der Frist nicht ein weiteres Mal aufgeschoben, so dass für eine Verschiebung der Frist nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO kein Raum bleibt.[18]

[12] Sächsisches FG, Urt. v. 12.12.2019 – 6 K 358/19 (Revision beim BFH anhängig unter Az. II R 17/20).
[15] Gohlisch, ZErb 2011, 133.
[17] Alvermann/Fraedrich, DStR 2008, 393; FG Köln, Urt. v. 16.12.2011, ErbStB 2010, 65, 66; weitere Beispiele bei Gohlisch, ZErb 2011, 133, 134.

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