Rz. 1
Wie bei jeder ertragsorientierten Bewertungsmethode kommt auch im Rahmen des vereinfachten Ertragswertverfahrens der Bestimmung des Kapitalisierungsfaktors bzw. des Kapitalisierungszinssatzes erhebliche Bedeutung zu. In der betriebswirtschaftlichen Praxis bildet dies eines der schwierigsten und streitbeladensten Probleme, zumal eine exakte, wissenschaftlich überprüfbare Quantifizierung des individuellen Risikoprofils meist ebenso wenig möglich ist wie die Überprüfung der angenommenen Wachstums- bzw. Geldentwertungsraten.
Rz. 2
Vor diesem Hintergrund hatte sich der Gesetzgeber bereits bei Einführung des vereinfachten Ertragswertverfahrens zum 1.1.2009 dazu entschieden, den Kapitalisierungszinssatz gesetzlich vorzugeben, und zwar seinerzeit ausgedrückt durch den Basiszinssatz, jeweils zu Beginn des Kalenderjahres, in dem die Steuer entsteht, und daneben durch einen pauschalen (Risiko-)Zuschlag von 4,50 %.
Rz. 3
Der Basiszins war gem. § 203 Abs. 2 BewG a.F. aus der langfristig erzielbaren Rendite öffentlicher Anleihen abzuleiten. Währungs-, Termin- bzw. Ausfallrisiken spielten bei seiner Bemessung keine Rolle. Dabei war auf den Zinssatz abzustellen, den die deutsche Bundesbank anhand der Zinsstrukturdaten jeweils auf den 1. Börsentag eines jeden Jahres errechnet. Dieser Zinssatz war für alle Wertermittlungen auf Bewertungsstichtage in diesem Jahr anzuwenden. Er wurde vom Bundesministerium der Finanzen im Bundessteuerblatt veröffentlicht.
Rz. 4
Der pauschale Zuschlag von 4,5 % berücksichtigte neben dem Unternehmerrisiko auch andere Korrekturposten, zum Beispiel Fungibilitätszuschlag, Wachstumsabschlag oder inhaberabhängige Faktoren. Des Weiteren beinhaltete er einen sog. Beta-Faktor von 1,0 zur Abbildung branchenspezifischer Risiken. Eine Korrektur wegen der Ertragsteuerbelastung war im Rahmen der Bestimmung des Kapitalisierungszinssatzes nicht vorzunehmen, weil die Betriebssteuern bereits bei der Ermittlung des Jahresertrages – pauschaliert – berücksichtigt wurden bzw. werden (vgl. § 202 Abs. 3 BewG). Außerdem wurde auch der Basiszinssatz als Vergleichsgröße "brutto", also vor Berücksichtigung der persönlichen Steuerbelastung des Investors (Unternehmers/Anteilsinhabers) zugrunde gelegt.
Rz. 5
Die bisherige Vorgehensweise führte gerade angesichts der in den Folgejahren zunehmend sinkenden Basiszinssätze zu immer niedrigeren Kapitalisierungszinssätzen und damit zu stetig steigenden Kapitalisierungsfaktoren respektive Unternehmenswerten, die vielfach unrealistische Dimensionen erreichten.
Die Entwicklung der Basiszinssätze und der damit korrespondierenden Kapitalisierungsfaktoren ist in der nachfolgenden Übersicht dargestellt:
Jahr |
Basiszins |
Zuschlag |
Kapitalisierungszinssatz |
Kapitalisierungsfaktor |
2009 |
3,61 % |
4,50 % |
8,11 % |
12,33 |
2010 |
3,98 % |
4,50 % |
8,48 % |
11,79 |
2011 |
3,43 % |
4,50 % |
7,93 % |
12,61 |
2012 |
2,44 % |
4,50 % |
6,94 % |
14,41 |
2013 |
2,04 % |
4,50 % |
6,54 % |
15,29 |
2014 |
2,59 % |
4,50 % |
7,09 % |
14,10 |
2015 |
0,99 % |
4,50 % |
5,49 % |
18,21 |
2016 |
1,10 % |
4,50 % |
5,60 % |
17,85 |
Rz. 6
Vor diesem Hintergrund hat sich der Gesetzgeber dazu entschlossen, die entsprechenden Regelungen im Rahmen des "Gesetz zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts" zu ändern, und zwar mit Rückwirkung für alle Bewertungsfälle, in denen die Steuer nach dem 31.12.2015 entstanden ist bzw. entsteht (§ 205 Abs. 11 BewG).