Rz. 1
§ 28a ErbStG wurde durch das ErbStG 2016 neu in das Gesetz aufgenommen, um der verfassungsgerichtlichen Forderung nach einer differenzierten Behandlung von Erwerben, die über den Bereich kleiner und mittlerer Betriebe hinausgehen, gerecht zu werden. Die Vorschrift ist somit Teil des seit dem ErbStG 2016 geltenden, nach dem Wert des erworbenen begünstigten Vermögens differenzierenden Verschonungsregimes und eröffnet dem Steuerpflichtigen ein Wahlrecht, trotz Überschreitung des – seinerzeit ebenfalls neu eingeführten – Schwellenwerts von 26 Mio. EUR (§ 13a Abs. 1 S. 1 ErbStG) eine Steuererleichterung in Form eines – wenigstens teilweisen, möglicherweise aber sogar vollständigen – Steuererlasses zu beanspruchen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, er einen entsprechenden Antrag stellt und nicht bereits einen (unwiderruflichen) Antrag nach § 13c Abs. 1 ErbStG (Abschmelzungsmodell) gestellt hat.
Die Abs. 4 und 6 wurden durch Gesetz vom 11.12.2018 um diverse verfahrensrechtliche Regelungen ergänzt, mit deren Hilfe nachträglich eintretende bzw. bekannt werdende Veränderungen der einem etwaigen Erlass zugrunde liegenden Verhältnisse in die Beurteilung der Erlasswürdigkeit einbezogen und die entsprechenden Bescheide geändert werden können.
Rz. 2
Die Vorschrift ist nur in Fällen anwendbar, in denen die in § 13a Abs. 1 S. 1 ErbStG statuierte Wertgrenze von 26 Mio. EUR überschritten wird (sog. Großerwerb). Maßgeblich hierfür ist, wie § 13a Abs. 1 S. 2 ErbStG klarstellt, nicht nur der jeweils aktuelle Erwerb. Vielmehr findet eine Zusammenrechnung der Werte des aktuellen und sämtlicher innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren vor dem aktuellen Erwerb vom selben Erblasser/Schenker stammender begünstigter Vermögenserwerbe statt, um auf diese Weise eine willkürliche Aufteilung und damit die Vermeidung der Anwendbarkeit der Sonderregelungen für Großerwerbe zu verhindern.
Für Erwerbe mit einem (ggf. mit anderen Erwerben zusammengerechneten) Wert von mehr als 90 Mio. EUR kommt eine Begünstigung von vornherein nur auf der Grundlage einer positiv verlaufenden Verschonungsbedarfsprüfung in Betracht. Denn die Anwendung eines abgeschmolzenen Verschonungsabschlags (§ 13c ErbStG) scheidet hier aus.
Rz. 3
Im Übrigen stellt die Bezugnahme in § 28a Abs. 1 S. 1 ErbStG auf das begünstigte Vermögen i.S.v. § 13b Abs. 2 ErbStG klar, dass ein Verschonungsbedarf von vornherein nur dann bestehen kann, wenn bzw. soweit der Erwerb sämtliche Anforderungen an eine Begünstigungsfähigkeit erfüllt und die Gewährung des Verschonungsabschlags (§ 13a Abs. 1 S. 1 bzw. Abs. 10 ErbStG) lediglich an der Überschreitung des Schwellenwerts von 26 Mio. EUR scheitert. Vor diesem Hintergrund kommt auch insbesondere im Falle des Bestehens von Weitergabeverpflichtungen eine Verschonung nach § 28a ErbStG nicht in Frage (vgl. § 28a Abs. 1 S. 2 ff. ErbStG).
Rz. 4
Hinsichtlich der nachlaufenden Verpflichtungen, also insbesondere in Bezug auf das Lohnsummenkriterium sowie die Behaltensfrist, und in Bezug auf verfahrensrechtliche Besonderheiten gelten auch im Bereich des § 28a ErbStG die Vorgaben für die Vollverschonung i.S.v. § 13a Abs. 10 ErbStG. Auf diese Weise wird erreicht, dass der Steuerpflichtige im Falle des Steuererlasses (gleichgültig, welchen Umfang dieser tatsächlich hat) im Grunde denselben Regelungen unterliegt wie bei der (normalen) Vollverschonung, die nur deswegen nicht zur Anwendung kommen können, weil die in § 13a Abs. 1 S. 1 ErbStG definierte Wertgrenze von 26 Mio. EUR überschritten ist.
Rz. 5
Gemäß § 37 Abs. 12 ErbStG ist § 28a ErbStG (nur) auf Erwerber anzuwenden, für die die Steuer nach dem 30.6.2016 entstanden ist. Die Überschreitung des Schwellenwerts nach § 13a Abs. 1 S. 1 ErbStG durch Erwerbe nach dem 30.6.2016 wirkt also nicht zurück und lässt die bereits nach altem Recht entstandene (und gegebenenfalls auch festgesetzte) Steuer unangetastet. Demzufolge spielen auch die gesetzlichen Vorgaben zur Berücksichtigung späterer Erwerbe nur für solche Zuwendungen eine Rolle, für die die Steuer nach dem 30.6.2016 entstanden ist.
Rz. 6
Die Regelungen zur Verschonungsbedarfsprüfung sind vielfacher und – größtenteils – auch berechtigter Kritik ausgesetzt. Sie durchbrechen – wenigstens hinsichtlich der wirtschaftlichen Auswirkungen – das der Erbschaft- und Schenkungsteuer zugrunde liegende Konzept der "Anfalls-Besteuerung", indem sie Vermögen des Erwerbers, das mit dem der Besteuerung zugrunde liegenden Tatbestand überhaupt nichts zu tun hat, mit in die Bestimmung der zu zahlenden Steuer einbeziehen. Außerdem führt die Ausnahme nur des Produktivvermögens aus der Bemessungsgrundlage für das verfügbare Vermögen zu Wertungswidersprüchen mit anderen erbschaftsteuerrechtlichen Vorschriften, insbesondere im Bereich des § 13 ErbStG. Zu denken ist hier insbesondere an das nach § 13 Nr. 4a–c ErbStG begünstigte Familienheim. Darüber hinaus wird kritisiert, dass das von den Begünstigungen für Produktivvermögen mittler...