Rz. 18
§ 11 Abs. 1 BewG stellt eine Konkretisierung des in § 9 Abs. 2 BewG aufgestellten Grundsatzes, dass der gemeine Wert eines Wirtschaftsguts durch den Preis bestimmt wird, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr bei seiner Veräußerung zu erzielen wäre, dar. Bei notierten Wertpapieren ist der erzielbare Veräußerungspreis grds. der Börsenkurs am Stichtag. Vor diesem Hintergrund kommt ein vom Kurswert abweichender Wertansatz nur in äußerst engen Grenzen in Betracht. Nicht ausreichend ist insb. das Vorliegen spekulativer Einflüsse, die zu überhöhten Kursen am Stichtag geführt haben. Denn zum einen sind derartige spekulative Einflüsse prägend für die Anlageklasse "Wertpapiere und Aktien", zum anderen hätte der Anteilseigner – eine entsprechend rasche Reaktion vorausgesetzt – genau diesen Kurs am Stichtag realisieren können, und zwar unabhängig davon, ob der Kurs bezogen auf den tatsächlichen Wert des Unternehmens gerechtfertigt war oder nicht. Ebenso wenig kann eine Abweichung vom Kurswert damit begründet werden, dass der Stichtagskurs nur auf der Grundlage nicht repräsentativer Minimalumsätze zustande gekommen wäre, auch wenn in diesem Fall die Möglichkeit, den Stichtagskurs zu realisieren, eventuell nur eingeschränkt vorhanden ist. Grundsätzlich kommt also eine Abweichung vom Kurswert nur dann in Betracht, wenn nach Börsenrecht die Streichung des jeweiligen Kurses verlangt werden könnte bzw. der amtlich festgestellte Kurs nicht der tatsächlichen Geschäftslage an der Börse entspricht. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn am Stichtag zwar eine Kursnotierung (Geld-, Brief- oder Taxkurs) vorliegt, dieser aber keine tatsächlichen Umsätze zugrunde liegen.
Rz. 19
Auch ungewöhnliche oder besondere persönliche Verhältnisse sind grds. nicht zu berücksichtigen. Der im Regulierten Markt zustande gekommene Kurs ist auch bei Vorliegen derartiger ungewöhnlicher Verhältnisse maßgeblich. Vor diesem Hintergrund ist z.B. auch in dem Fall, dass eine Personengesellschaft in ihrem Betriebsvermögen die Aktien einer bestimmten AG hält, deren wesentliches Anlagevermögen in einer Beteiligung an eben derselben Personengesellschaft besteht, keine Abweichung vom Stichtagskurs gerechtfertigt. Ungewöhnliche Verhältnisse sind auch nicht in einem starken Kursrückgang unmittelbar nach dem Stichtag zu sehen. Dies kann für den Steuerpflichtigen im Einzelfall zu erheblichen Härten führen, denen nach aktueller Gesetzeslage jedoch nicht auf der Bewertungsebene (§ 11 Abs. 1 BewG), sondern lediglich im Rahmen von Billigkeitsmaßnahmen nach §§ 163, 227 AO begegnet werden kann. Es erscheint allerdings fraglich, ob dies auch in solchen Fällen ausreichend sein kann, in denen der Erwerber keine Chance hat, einem Kursverfall durch Verkauf der erworbenen Aktien zuvor zu kommen. Leider hat der Gesetzgeber auch im Rahmen des Erbschaftsteuergesetzes 2009 und der nachfolgenden Änderungen jeweils die Gelegenheit verpasst, hier entsprechende Mechanismen bzw. Anpassungsmöglichkeiten vorzusehen. Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist die Lage eindeutig: Für die Bewertung ist allein der Stichtagskurs maßgeblich. Dies ist insb. in solchen Fällen äußerst unbefriedigend, in denen gerade der Tod des Erblassers der Auslöser für den unmittelbar nach Bekanntwerden der Todesnachricht eintretenden Kursverfall ist.
Dasselbe sollte dann gelten, wenn objektiv feststeht, "dass die zwischen Erbfall und Erlangung der Verfügungsmöglichkeit relevanten Kursvarianzen eine realitätsgerechte Bemessung des Verkaufskurses nur aus der Perspektive des Verfügungszeitpunkts zulassen", wenn also der Erwerber praktisch keine Chance hat, den Stichtagskurs tatsächlich zu realisieren.