Rz. 46
Soweit der Unternehmenswert aufgrund eines Gutachtens, also nach dem (ggf. auch vereinfachten) Ertragswertverfahren, der DCF-Methode oder nach einer anderen im gewöhnlichen Geschäftsverkehr für nichtsteuerliche Zwecke üblichen Methoden ermittelt wird, bildet grds. der Substanzwert den anzusetzenden Mindestwert. Insoweit besteht auch kein Vorbehalt wegen etwa offensichtlich unzutreffender Ergebnisse. Wird der gemeine Wert aus tatsächlichen Verkäufen unter fremden Dritten (im gewöhnlichen Geschäftsverkehr) abgeleitet, scheidet der Mindestwertansatz jedoch aus; Gleiches gilt auch im Falle der Bewertung nach dem Börsenkurs.
Rz. 47
Als Substanzwert definiert § 11 Abs. 2 S. 3 BewG die Summe der gemeinen Werte der zum Betriebsvermögen gehörenden Wirtschaftsgüter und sonstigen aktiven Ansätze abzüglich der zum Betriebsvermögen gehörenden Schulden und sonstigen Abzüge. Er bildet, so die Gesetzesbegründung, den Mindestwert, den ein Steuerpflichtiger am Markt erzielen könnte. Im Übrigen entspreche der Substanzwert "inhaltlich den Grundsätzen der bisherigen §§ 98a und 103 BewG" (also in der bis Ende 2008 geltenden Fassung). Dies ist allerdings nur dem Grunde nach richtig. Der Höhe nach unterscheidet sich die heutige Substanzwert-Definition durch den Ansatz des gemeinen Werts der einzelnen Vermögensgegenstände vom früheren Recht, nach dem grds. nur die – ggf. modifizierten – Steuerbilanzwerte anzusetzen waren. Bei der Definition in § 11 Abs. 2 S. 3 BewG handelt es sich also um eine eigenständige Begriffsbestimmung. Dies gilt auch im Verhältnis zur Betriebswirtschaftslehre. Denn dort ist der Substanzwert als Kaufpreis für mit den im Betriebsvermögen enthaltenen Wirtschaftsgütern vergleichbare Gegenstände definiert; es ist also vom Wiederbeschaffungspreis, nicht vom Verkaufspreis auszugehen.
Rz. 48
Nichtsdestotrotz unterstellt § 11 Abs. 2 S. 3 BewG, dass der Steuerpflichtige jedenfalls den bei Einzelveräußerung sämtlicher zum Betriebsvermögen gehörenden Gegenstände erzielbaren Erlös realisieren könnte und daher die Summe dieser Werte (abzüglich Passiva) als Wertuntergrenze zutreffend sei. Gleichzeitig unterstellt sie eine Fortführung des Unternehmens. Diese Argumentation verkennt jedoch, dass eine Realisierung dieser Werte eine echte Liquidation des Unternehmens voraussetzt und daher die Veräußerungserlöse um die anfallenden Liquidationskosten reduziert werden müssten. Hierzu zählen insb. (latente) Ertragsteuerbelastungen und sonstige "stille Lasten" wie beispielsweise Kosten etwa erforderlicher Altlastenbeseitigungen, eines Sozialplans oder sonstiger Mitarbeiterabfindungen. Der Substanzwert des § 11 Abs. 2 S. 3 BewG bildet daher einen rein theoretischen Mindestwert, der die Anforderungen, die § 9 BewG an den gemeinen Wert stellt, grds. nicht erfüllt. Dies gilt umso mehr, als nach der Rechtsprechung der gemeine Wert (i.S.v. § 9 BewG) grundsätzlich dem Verkehrswert entspricht. Maßgeblich ist nach dem Wortlaut des Gesetzes die Perspektive des Verkäufers, nicht diejenige des Erwerbers. Der Substanzwertbestimmung nach § 11 Abs. 2 S. 3 BewG müsste also – soll er zu systematisch sinnvollen Ergebnissen führen – (abweichend von den Ausführungen in der Gesetzesbegründung) eine Einzelbewertung sämtlicher am Bewertungsstichtag zum Unternehmen gehörenden Vermögensgegenstände und Schulden sowie sonstigen Abzugsposten einschließlich der veräußerungsbedingten Kosten mit dem jeweiligen gemeinen Wert (erzielbaren Einzelveräußerungspreis) zugrunde gelegt werden.
Rz. 49
Dogmatisch richtig wäre es daher, den Liquidationswert als Wertuntergrenze festzuschreiben. Dieser ist jedoch nach der Gesetzesbegründung (nicht nach dem Wortlaut des Gesetzes selbst) nur dann maßgeblich, wenn feststeht, dass die Gesellschaft nicht weiter betrieben werden soll oder sich tatsächlich bereits in Liquidation befindet bzw. wenn feststeht, dass das Unternehmen nicht weiter betrieben werden wird. Das Argument, die Liquidationskosten seien nur in solchen Fällen zu berücksichtigen, in denen sie auch tatsächlich anfielen, liegt indes neben der Sache. Denn im Rahmen der Bestimmung des Mindestwerts kann es im Ergebnis nur auf den Betrag ankommen, den der Steuerpflichtige tatsächlich durch Veräußerung realisieren könnte, das ist allein der um die Liquidationskosten geminderte Veräußerungserlös. Nichtsdestotrotz scheint die Formulierung des Gesetzes insoweit eindeutig.