aa) Anwendungsbereich und Wohnsitzbegriff
Rz. 85
In persönlicher Hinsicht knüpft das DBA Deutschland/Frankreich ausschließlich an die Ansässigkeit des Erblassers/Schenkers an. Hatte er im Zeitpunkt seines Todes bzw. bei Ausführung der Schenkung einen Wohnsitz in einem Vertragsstaat oder in beiden Vertragsstaaten, ist die Anwendung des DBA eröffnet. Ergibt sich die unbeschränkte Steuerpflicht in einem oder beiden Vertragsstaaten hingegen aus der dortigen Ansässigkeit des Erwerbers, reicht dies nicht aus, um in den Genuss des Abkommensschutzes zu kommen.
Rz. 86
Den sachlichen Anwendungsbereich definiert Art. 2 Abs. 1–3 DBA mit Nachlass- und Erbschaftsteuern sowie Schenkungsteuern, die von einem der Vertragsstaaten oder seinen Gebietskörperschaften erhoben werden. Aktuell sind dies die jeweiligen Erbschaft- und Schenkungsteuern. Das Abkommen gilt gem. Art. 2 Abs. 4 DBA aber auch für etwa zukünftig eingeführte Steuern gleicher Art, nicht aber für Wertzuwachssteuern. Aus diesem Grunde fällt beispielsweise auch die bei der Schenkung einer wesentlichen Beteiligung an einer inländischen Kapitalgesellschaft an einen nicht gebietsansässigen Ausländer eintretende Gewinnrealisierung nach § 6 Abs. 3 AStG nicht unter den Anwendungsbereich des Abkommens. Da das französische Erbschaftsteuerrecht eine dem § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG inhaltlich entsprechende "Ersatzerbschaftsteuer" nicht kennt, ist diese vom Anwendungsbereich des Abkommens explizit ausgeschlossen.
Rz. 87
Räumlich gilt das Abkommen im jeweiligen Staatsgebiet der beiden Vertragsstaaten. Dieses umfasst im Falle Frankreichs auch die überseeischen Departements, Art. 3 Abs. 1b) DBA. Soweit das DBA selbst bestimmte im Abkommen verwendete Begriffe nicht definiert, gelten gem. Art. 3 Abs. 2 DBA die Definitionen nach innerstaatlichem Recht, wobei nach der Nr. 1 des begleitenden Protokolls steuerrechtliche Begriffsbestimmungen vorrangig vor denen aus anderen Rechtsgebieten anzuwenden sind.
Rz. 88
Gem. Art. 4 Abs. 1 S. 1 DBA hat eine Person ihren "Wohnsitz in einem Vertragsstaat", wenn sie dort aufgrund ihres Wohnsitzes, ihres ständigen Aufenthaltes, des Orts der Geschäftsleitung oder eines ähnlichen Merkmals steuerpflichtig ist. Eine im Vertragsstaat bestehende beschränkte Steuerpflicht nur mit dem Inlandsvermögen führt gem. Art. 4 Abs. 1 S. 2 DBA nicht zu einem abkommensrechtlichen Wohnsitz.
Rz. 89
Bei Doppelwohnsitz in beiden Vertragsstaaten gilt gem. Art. 4 Abs. 2 DBA die international übliche Abgrenzungs- und Prüfungsreihenfolge ("Tie-breaker-rules"): Ständige Wohnstätte, hilfsweise Mittelpunkt der Lebensinteressen, wiederum hilfsweise gewöhnlicher Aufenthalt, wiederum hilfsweise Staatsangehörigkeit und schließlich Regelung im gegenseitigen Einvernehmen. Bei juristischen Personen ist nach Art. 4 Abs. 4 DBA stets der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung maßgeblich.
Rz. 90
Nach Nr. 2 des begleitenden Protokolls ist ein deutscher Staatsangehöriger, der sich zum Zeitpunkt des Todes oder der Schenkung seit höchstens fünf Jahren außerhalb der Bundesrepublik Deutschland aufhält und in Deutschland keinen Wohnsitz hat, dennoch als in Deutschland ansässig (i.S.v. Art. 4 Abs. 1 DBA) anzusehen. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass die abkommensrechtliche Qualifikation nicht mit der unbeschränkten Steuerpflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 b) ErbStG kollidiert.
Rz. 91
Schließlich sieht Art. 4 Abs. 3 DBA vor, dass eine natürliche Person, die bei ihrem Tod oder bei Ausführung der Schenkung Staatsangehöriger des einen Vertragsstaates war und in beiden Vertragsstaaten einen Wohnsitz i.S.v. Art. 4 Abs. 1 DBA hatte, als nur im Staatsangehörigkeitsstaat ansässig gilt. Voraussetzung hierfür ist aber, dass "diese Person die eindeutige Absicht hatte, ihren Wohnsitz im anderen Staat nicht auf Dauer beizubehalten und wenn sie während der dem Zeitpunkt des Todes oder der Schenkung unmittelbar vorausgehenden sieben Jahre ihren Wohnsitz dort insgesamt weniger als fünf Jahre hatte". Diese Sonderregelung knüpft sowohl an ein subjektives Tatbestandsmerkmal (Absicht, den Wohnsitz nicht auf Dauer beizubehalten) als auch an ein objektives Tatbestandsmerkmal (Verweildauer im anderen Vertragsstaat) an. Hinsichtlich des subjektiven Tatbestandsmerkmals ist davon auszugehen, dass dieses anhand objektiver Kriterien belegt werden muss.
Rz. 92
Beide vorgenannten Sonderregelungen (Nr. 2 des Protokolls bzw. Art. 4 Abs. 3 DBA) gelten – wie Art. 4 DBA insgesamt – lediglich für die Ansässigkeit von Erblasser bzw. Schenker. Denn die Ansässigkeit des Erwerbers ist für die Anwendung des Abkommens insgesamt unbeachtlich.