Rz. 23
Die Erbschaftsteuer für den von Todes wegen erworbenen Pflichtteilsanspruch entsteht – anders als nach dem Zivilrecht – mit der Geltendmachung, also zeitlich nach dem Todestag (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b ErbStG). Die "Geltendmachung" des Pflichtteilsanspruchs besteht in dem ernstlichen Verlangen auf Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs gegenüber dem Erben. Der Berechtigte muss seinen Entschluss die Erfüllung des Pflichtteils zu verlangen, in geeigneter Weise bekunden. Die Abtretung des Pflichtteilsanspruchs an einen Dritten, die Geltendmachung von Teilleistungen oder die Testamentsanfechtung durch einen bei der Erbeinsetzung übergangenen Pflichtteilsberechtigten kann als Geltendmachung zu werten sein. Bei Geltendmachung einer Teilleistung ist die Steuer auf den Teilpflichtteil zu begrenzen, wenn der restliche Teil endgültig nicht geltend gemacht wird. Die zur Entstehung der Erbschaftsteuer führende Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs setzt nicht die Bezifferung des Anspruchs voraus. Ist der Pflichtteilsberechtigte der Alleinerbe des Verpflichteten, bleibt trotz des zivilrechtlichen Erlöschens des Pflichtteilsanspruchs erbschaftsteuerrechtlich sein Recht zur Geltendmachung des Pflichtteils als Folge der Regelung in § 10 Abs. 3 ErbStG bestehen. Von dem von Todes wegen entstehenden Pflichtteil ist der ererbte Pflichtteilsanspruch zu unterscheiden. Ein vom Erblasser nicht geltend gemachter Pflichtteilsanspruch gehört zum Nachlass und unterliegt beim Erben der Besteuerung aufgrund Erbanfalls. Die erbschaftsteuerrechtliche Besonderheit nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b ErbStG, wonach der Erwerb des Pflichtteilsanspruchs nur bei dessen Geltendmachung durch den Pflichtteilsberechtigten der Erbschaftsteuer unterliegt, gilt nicht für den Erwerb eines Pflichtteilsanspruchs durch Erbanfall (derivativer Erwerb). Für diesen Erwerb entsteht die Steuer nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG bereits mit dem Tode des Pflichtteilsberechtigten. Macht der Erbe des Pflichtteilsberechtigten den Pflichtteilsanspruch später geltend, entsteht dafür keine Erbschaftsteuer. Die Geltendmachung führt lediglich dazu, dass der Verpflichtete den Pflichtteil gem. § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG als Nachlassverbindlichkeit abziehen kann. Verstirbt der Pflichtteilsverpflichtete seinerseits, bevor der Pflichtteilsanspruch durch Erfüllung (§ 362 Abs. 1 BGB) oder aus anderen Gründen, etwa aufgrund eines Erlassvertrags (§ 397 Abs. 1 BGB), erloschen ist, geht die Verbindlichkeit gem. §§ 1922, 1967 Abs. 1 BGB zivilrechtlich auf dessen Erben über, ohne dass es auf die vorherige Geltendmachung des Anspruchs ankommt. Die Verpflichtung zur Zahlung des Pflichtteils stellt dabei erbschaftsteuerrechtlich nur dann eine vom Pflichtteilsverpflichteten als Erblasser herrührende Schuld und somit eine gem. § 10 Abs. 1 S. 2 i.V.m. Abs. 5 Nr. 1 ErbStG abziehbare Nachlassverbindlichkeit dar, wenn der Pflichtteilsberechtigte den Pflichtteilsanspruch zu Lebzeiten des Verpflichteten geltend gemacht hatte oder ihn nach dessen Tod nunmehr geltend macht. Wird der Pflichtteilsberechtigte Erbe des Pflichtteilsverpflichteten, erlischt der Anspruch/die Verpflichtung nicht (§ 10 Abs. 3 ErbStG).
Unschädlich (d.h. keine Geltendmachung) sind ein bloßes Auskunftsverlangen über die Höhe des Nachlasses sowie der Pflichtteilsverzicht vor Geltendmachung (§ 13 Abs. 1 Nr. 11 ErbStG). In der Praxis wird immer wieder ein Pflichtteil geltend gemacht und später ganz oder teilweise darauf verzichtet. In solchen Fällen muss der Pflichtteilsberechtigte dennoch i.d.R. den Pflichtteil versteuern. Aus erbschaftsteuerlicher Sicht ist es daher im Zweifel angebracht, zunächst nur Auskunft zu verlangen. Der Pflichtteilsberechtigte kann durch Wahl des Zeitpunkts der Geltendmachung u.a. in gewissem Umfang Einfluss auf das anzuwendende Recht nehmen. Bei Geltendmachung nach Verjährung des Pflichtteilsanspruchs kann die Erbschaftsteuer bei Pflichtteilsberechtigten nur entstehen, wenn und soweit der verpflichtete Erbe den Anspruch erfüllt bzw. die Erfüllung verbindlich zusagt. Zur Berechnung des steuerlichen Pflichtteilswerts kommt es auf die persönlichen und rechtlichen Verhältnisse zum Todestag des Erblassers an.
Rz. 24
Mit der Geltendmachung wird materiellrechtlich eine zeitliche Zäsur gesetzt. Der Pflichtteilsberechtigte wird erbschaftsteuerpflichtig. Beim Erben entsteht (erst dann) eine Erbfallschuld nach § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG. Hinsichtlich des Abzugs des Pflichtteils als Nachlassverbindlichkeit wirkt dessen Geltendmachung hingegen auf den Zeitpunkt der Entstehung der Steuer gegenüber dem Erben, also auf den Zeitpunkt des Todes des Erblassers (Abs. 1 Nr. 1) zurück, stellt demnach ein rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO dar. Die Abzugsfähigkeit einer Pflichtteilsverbindlichkeit nach § 10 Abs. 1 S. 2 i.V.m. Abs. 5 Nr. 2 ErbStG setzt nicht die Erfüllung dieser Geldschuld voraus. D...