Gerhard Sievert, Ulrich Gohlisch
I. Zwei wirtschaftliche Einheiten (Abs. 1)
Rz. 2
Sowohl das Gebäude auf fremdem Grund und Boden wie auch der bebaute Boden sind jeweils eine wirtschaftliche Einheit, d.h. ein Grundstück. Nach § 195 Abs. 1 BewG sind diese Einheiten entsprechend der bisherigen Systematik des Bewertungsrechts als Grundstücke zu bewerten. Hier weicht das Bewertungsrecht vom Zivilrecht ab, nach dem das Gebäude regelmäßig Bestandteil des Grundstücks wird, auch wenn ein anderer als der Grundstückseigentümer das Gebäude errichtet.
Rz. 3
Nach Verwaltungsauffassung liegt die Ausnahme, dass das "Gebäude auf fremdem Grund und Boden" ein eigenständiges Grundstück ist, nur dann vor, wenn
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es Scheinbestandteil des Grund und Boden ist (§ 95 BGB) oder |
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dem Nutzungsberechtigten für den Fall der Nutzungsbeendigung gegenüber dem Eigentümer des Grund und Bodens ein vertraglicher oder gesetzlicher Anspruch auf Ersatz des Verkehrswerts zusteht. |
In derartigen Einzelfällen ist sowohl erbschaftsteuerlich wie auch erbrechtlich zu regeln bzw. zu beachten, was mit dem Gebäude genau geschehen soll, bzw. ob dafür Ausgleichsansprüche vereinbart werden sollten oder gesetzliche Ersatzansprüche entstehen. Entsprechendes gilt übrigens bei der Grunderwerbsteuer (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 GrEStG).
Rz. 4
Nach § 95 Abs. 1 S. 1 BGB gehören solche Sachen nicht zu den Bestandteilen eines Grundstücks, die nur zu einem vorübergehenden Zweck mit dem Grund und Boden verbunden sind (Scheinbestandteil). Scheinbestandteile sind damit bewegliche Sachen, die zivilrechtlich nach § 929 BGB übertragen werden. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich in erster Linie nach dem Willen des Erbauers, sofern dieser Wille mit dem nach außen in Erscheinung tretenden Sachverhalt in Einklang zu bringen ist. Verbindet ein Mieter, Pächter oder in ähnlicher Weise schuldrechtlich Berechtigter Sachen, u.a. auch Gebäude mit dem Grund und Boden, spricht nach feststehender Zivilrechtsprechung regelmäßig eine Vermutung dafür, dass dies mangels besonderer Vereinbarungen nur in seinem Interesse für die Dauer des Vertragsverhältnisses und damit zu einem vorübergehenden Zweck geschieht.
Beispiel
Ein Möbelhauskonzern errichtet auf der "grünen Wiese" ein Warenhaus auf seine Kosten. Das Grundstück gehört Bauer B. Laut Nutzungsvertrag soll das Warenhaus nach Beendigung der Nutzungsberechtigung abgerissen und das Grundstück in den alten Zustand zurückversetzt werden. M.E. läge hier bewertungsrechtlich ein Gebäude auf fremden Grund und Boden vor (Scheinbestandteil). Ein Erbe des B würde ein unbebautes Grundstück erben.
Rz. 5
Ein Gebäude, das zu einem vorübergehenden Zweck mit dem Grund und Boden verbunden worden ist (Scheinbestandteil) und zivilrechtlich damit eine bewegliche Sache darstellt, wird durch Einigung zwischen dem bisherigen Eigentümer des Gebäudes und dem Grundstückseigentümer über den Übergang des Eigentums an dem Gebäude wesentlicher Bestandteil des Grundstücks. Ob ein fremdes Gebäude in der Hand eines Erben, der zugleich Eigentümer des Grundstücks ist, zu einem einheitlichen Wirtschaftsgut mit dem vorhandenen Gebäude "verschmilzt", hängt m.E. davon ab, ob das Gebäude in einen mit dem Gebäude einheitlichen Nutzungs- und Funktionszusammenhang überführt wird. Das wäre z.B. der Fall, wenn die bisherige separate Nutzung eingestellt würde.
Rz. 6
Besteht nach dem Nutzungsvertrag für den Fall der Nutzungsbeendigung gegenüber dem Eigentümer des Grund und Bodens ein vertraglicher oder gesetzlicher Anspruch auf Ersatz des Verkehrswerts, wird das Gebäude auf dem fremden Grund und Boden als eigenes Grundstück fingiert und damit der Bewertung des Grundvermögens zugeordnet.
II. Bewertung des Gebäudes auf fremdem Grund und Boden (Abs. 2)
Rz. 7
In § 195 Abs. 2 BewG wird die Bewertung des Gebäudes/Bauwerks geregelt. Grundsätzlich ist zunächst das Gebäude nach den üblichen Methoden in Abhängigkeit von der Grundstücksart, d.h. also entweder im Ertragswertverfahren oder im Sachwertverfahren zu bewerten.
Rz. 8
Bei Anwendung des Sachwertverfahrens hat das Sächsische Finanzgericht in seinem Urteil vom 14.2.2020 problematisiert, ob der Ansatz des Mindestwerts nach § 190 Abs. 4 S. 5 BewG bei der Bewertung von Gebäuden auf fremdem Grund und Boden zur Anwendung kommen darf. Zunächst wurde dies nach einer zwischenzeitlich mitgeteilten Auffassung seitens des Gerichts verneint, es kam dann aber zu folgendem Resümee: Die Regelung in § 195 Abs. 2 S. 5 BewG, wonach § 190 Abs. 4 S. 5 BewG nicht zum Ansatz kommt, bezieht sich nur auf die unmittelbar vorhergehenden Sätze 2–4 des § 195 Abs. 2 BewG. Diese regeln die Vorgehensweise für den Fall, dass der Nutzer bei Ablauf des Nutzungsrechts verpflichtet ist, das Gebäude zu beseitigen. In diesem Fall erübrigt sich der Ansa...