I. Kapitalisierungsfaktor
Rz. 7
Der Kapitalisierungsfaktor ist in § 203 Abs. 1 BewG starr vorgegeben, und zwar mit 13,75.
Gemäß § 203 Abs. 2 BewG ist das Bundesministerium der Finanzen ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates den Kapitalisierungsfaktor an die Entwicklung der Zinsstrukturdaten anzupassen. Diese Ermächtigung trägt dem Umstand Rechnung, dass ursprünglich der Kapitalisierungsfaktor dynamisch der aktuellen Zinsentwicklung folgte und diese Methodik im Rahmen der Neuregelung des § 203 BewG nicht vollständig aufgegeben werden sollte.
Rz. 8
Dessen ungeachtet ist die Orientierung am jeweils aktuellen Zinsniveau deutlich abgeschwächt. In welchem Umfang das BMF von der ihm gesetzlich eingeräumten Anpassungsmöglichkeit zukünftig tatsächlich Gebrauch machen wird, bleibt abzuwarten; bislang sind jedenfalls keine Anpassungen erfolgt. Im Übrigen stellt sich die Frage, ob die Festschreibung des Kapitalisierungsfaktors – grundsätzlich oder bei entsprechender Zinsentwicklung – noch dem verfassungsrechtlichen Petitum einer realitätsgerechten Bewertung genügen kann. Dies gilt umso mehr, als der gesetzlichen Fixierung "etwas Zufälliges und Willkürliches anhaftet", weshalb auch die Frage nach der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung nicht unberechtigt erscheint.
II. Grenzen der Anwendung von § 203 BewG
Rz. 9
Eine von diesen Vorgaben abweichende Bestimmung des anzuwendenden Kapitalisierungsfaktors ist im Rahmen des vereinfachten Ertragswertverfahrens nicht vorgesehen. Vielmehr ist der Kapitalisierungsfaktor starr und zwingend vorgegeben.
Rz. 10
Dies (insb. die Vorgabe, den für Deutschland maßgeblichen Basiszinssatz zu verwenden) gilt nicht nur im Rahmen der Bewertung inländischer Unternehmungen. Auch für ausländisches Betriebsvermögen oder Anteile an ausländischen Kapitalgesellschaften kann das vereinfachte Ertragswertverfahren und somit auch § 203 BewG Anwendung finden. Soweit dies nicht zu offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen führt, ist § 203 BewG ohne Modifikationen anzuwenden.
Rz. 11
Bei anderen Bewertungsverfahren, also außerhalb der §§ 199 ff. BewG, gelten die Vorgaben des § 203 BewG ausdrücklich nicht. Sowohl im Rahmen einer Ertragsbewertung nach IDW S 1 als auch bei Anwendung anderer anerkannter, auch im gewöhnlichen Geschäftsverkehr für nicht steuerliche Zwecke üblicher Methoden spielt der sich aus § 203 BewG ergebende Kapitalisierungsfaktor keine Rolle. Hier sind Abzinsungszinssatz bzw. Kapitalisierungsfaktor jeweils individuell zu bestimmen.
III. Inkrafttreten/Rückwirkung, § 205 Abs. 11 BewG
Rz. 12
Die Systematik des vereinfachten Ertragswertverfahrens beinhaltet u.a. das in § 203 Abs. 2 BewG a.F. zum Ausdruck gebrachte Prinzip, dass für sämtliche Steuerfälle innerhalb desselben Kalenderjahres ein einheitlicher Kapitalisierungsfaktor zur Anwendung kommen soll. Um diesem Prinzip auch im Zuge der Neuregelung des Kapitalisierungsfaktors treu zu bleiben, ordnete der Gesetzgeber in § 205 Abs. 11 BewG deren rückwirkendes Inkrafttreten für alle Bewertungsstichtage ab dem 1.1.2016 an.
Eine weitere, über den Gesetzeswortlaut hinausgehende Rückwirkung kommt nicht in Betracht.
Rz. 13
Ob dies mit rechtlichen Vorgaben im Einklang steht, ist indes zweifelhaft. Betroffen ist in erster Linie das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG), an dessen Vorgaben auch die vorliegende Rückwirkungsanordnung zu messen ist. Speziell im Steuerrecht wird prinzipiell zwischen der sog. "echten" Rückwirkung auf der einen und der "unechten" Rückwirkung auf der anderen Seite unterschieden. Von einer echten Rückwirkung ist dann auszugehen, wenn an den in der Vergangenheit verwirklichten Tatbestand nachträglich neue/andere Rechtsfolgen geknüpft werden. Bei der unechten Rückwirkung ist hingegen die Tatbestandsverwirklichung, die die neuen Rechtsfolgen auslöst, noch nicht (endgültig) abgeschlossen. Dies gilt zum Beispiel bei Änderungen von Steuergesetzen im Laufe eines (noch nicht abgeschlossenen) Veranlagungszeitraums.
Die echte Rückwirkung von Steuergesetzen ist in der Regel verfassungswidrig und bestenfalls dann zulässig, wenn zum einen kein schutzwürdiges Vertrauen des Steuerpflichtigen anzunehmen ist und zum anderen zwingende Gründe des Gemeinwohls die Rückwirkung rechtfertigen. Demgegenüber sind die Anforderungen an die Zulässigkeit einer tatbestandlichen Rückanknüpfung bei weitem geringer.
Rz. 14
Bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer handelt es sich um eine Stichtagssteuer; die Steuer entsteht mit der Verwirklichung des entsprechenden Zuwendungstatbestandes (§ 9 ErbStG). Mithin ist eine Einbeziehung von Zuwendungsfällen, die bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes abgeschlossen waren, in den Anwendungsbereich der Neuregelungen in jedem Fall als echte Rückwirkung zu qualifizieren.
Rz. 15
Selbstverständlich stellt sich die Frage der Verfass...