Rz. 18
Soweit bei Kapitalgesellschaftsanteilen, Gewerbebetrieben oder gewerblichen bzw. gewerblich geprägten Personengesellschaften die Wertermittlung unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten erfolgt (§ 11 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BewG), ist der Anwendungsbereich des vereinfachten Ertragswertverfahrens grundsätzlich eröffnet.
Rz. 19
Nach dem Wortlaut des Gesetzes "kann das vereinfachte Ertragswertverfahren (§ 200 BewG) angewendet werden". Insoweit ordnet das Gesetz ein Wahlrecht zugunsten des Steuerpflichtigen an, von dem dieser Gebrauch machen kann, aber nicht muss. Dieses Wahlrecht besteht immer dann, wenn die Anwendung des vereinfachten Ertragswertverfahrens nicht zu offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen führt (siehe auch Rdn 2 ff.). Wird das vereinfachte Ertragswertverfahren zur Bewertung von Anteilen an Kapitalgesellschaften angewendet, kommen die beim früheren Stuttgarter Verfahren üblichen Wertanpassungen (wie bspw. wegen fehlenden Einflusses auf die Geschäftsleitung oder wegen ungleicher Verteilung von Gesellschafterrechten) nicht in Betracht. Grundsätzlich sind auch keine Paketzuschläge nach § 11 Abs. 3 BewG zu berücksichtigen.
Rz. 20
Vielmehr sind die Modalitäten der Bewertung in §§ 199–203 BewG abschließend geregelt. Das gilt auch (und insbesondere) dann, wenn im Rahmen einer gutachterlichen Bewertung aufgrund besonderer Umstände Zu- und/oder Abschläge vom rechnerisch ermittelten Wert eindeutig geboten wären, so z.B.:
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nachhaltig unverhältnismäßig geringe Erträge bei großem Unternehmensvermögen |
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schwere Verkäuflichkeit der Anteile |
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Zusammenfassung aller oder mehrerer Anteile in einer Hand |
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latente Ertragsteuerlasten (im Falle von Verkauf oder Liquidation) |
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Unterkapitalisierung |
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Fehlen eigener Betriebsgrundstücke und -gebäude |
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Synergieeffekte zwischen bewertungsgegenständlichem Unternehmen und anderen Unternehmen der bzw. einiger Anteilseigner. |
Dasselbe gilt auch für ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse wie beispielsweise Verfügungsbeschränkungen (§ 9 Abs. 2 S. 3 und Abs. 3 BewG). Diese sind – nach wie vor – auf der Bewertungsebene irrelevant, können sich aber ggf. im Rahmen von § 13a Abs. 9 ErbStG (Wertabschlag für Familienunternehmen) auf der Begünstigungsebene auswirken.
Für Neugründungen, bei denen der künftige Jahresertrag noch nicht aus Vergangenheitswerten abgeleitet werden kann, geht R B 199.1 Abs. 6 Nr. 2 ErbStR 2019 davon aus, dass das vereinfachte Ertragswertverfahren regelmäßig nur zu offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen führen kann und daher unanwendbar ist. Beim Ansatz des Substanzwerts als Mindestwert bleibt der Umstand, dass es sich um eine Neugründung handelt, unberücksichtigt. Gleiches gilt auch in Fällen eines Branchenwechsels.
Rz. 21
Prinzipiell ungeeignet dürfte das vereinfachte Ertragswertverfahren für die Bewertung gemeinnütziger Kapitalgesellschaften sein. Dessen ungeachtet geht die Finanzverwaltung aber von der uneingeschränkten Anwendbarkeit aus und vertritt die Auffassung, dass die gemeinnützigkeitsrechtlichen Bindungen bzw. die sich daraus ergebenden Beschränkungen bei der Anteilsbewertung nicht gesondert zu berücksichtigen seien. Vielmehr sollen diese durch den Abzug einer auflösend bedingten Last (i.S.v. § 7 BewG) im Rahmen der Besteuerung angemessen abgebildet werden, so dass eine volle Besteuerung nur im Falle des Wegfalls der Gemeinnützigkeit stattfindet.
Rz. 22
Eine Unanwendbarkeit des vereinfachten Ertragswertverfahrens sieht die Verwaltung auch bei Vorliegen "komplexer Strukturen", die allerdings nur bei eher unübersichtlichen Konzern- und Beteiligungsverhältnissen vorliegen dürften. Denn prinzipiell kann das vereinfachte Ertragswertverfahren auch für Unternehmen, zu deren Vermögen Beteiligungen an nachgeordneten Gesellschaften gehören, bzw. für diese nachgeordneten Gesellschaften selbst angewendet werden. Gleiches gilt auch für Organgesellschaften oder Organträgergesellschaften, bei denen allerdings die Effekte aus den bestehenden Gewinnabführungsverträgen zu eliminieren sind. Dies geschieht bei der Organgesellschaft durch Ansatz deren Betriebsergebnisses vor Gewinnabführung anstelle des Jahresüberschusses. Auch bei der Organgesellschaft findet die pauschale Kürzung des Ertragsteueraufwands (§ 202 Abs. 3 BewG) statt. Beim Organträger sind spiegelbildlich die im Steuerbilanzgewinn enthaltenen Erträge/Aufwendungen aus Gewinnabführungen (bzw. Verlustausgleich) nach § 202 Abs. 1 BewG zu kürzen bzw. hinzuzurechnen. Die Organgesellschaft wird im Übrigen als Tochtergesellschaft mit ihrem gemeinen Wert (zusätzlich) berücksichtigt (§ 200 Abs. 3 BewG).
Im Übrigen ist im Hinblick auf die eher diffuse Bezeichnung und die mangelnde exakte Definition des Begriffs der komplexen Struktur davon auszugehen, dass die Finanzverwaltung im Einzelfall die Feststellungslast für die Ungeeignetheit des vereinfachten Ertragswertverfahrens trägt und aus der Sicht des Steuerpflichtigen daher zunächs...