I. Grundsätzliches
Rz. 54
Vor dem Hintergrund der (früher) europarechtswidrigen Ungleichbehandlung von unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht hatte der Gesetzgeber im Rahmen des Gesetzes zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften solchen beschränkt Steuerpflichtigen, bei denen es sich um EU- bzw. EWR-Ausländer handelt, eine Optionsmöglichkeit zur Besteuerung nach den im Falle der unbeschränkten Steuerpflicht anwendbaren Regeln eröffnet (fiktive unbeschränkte Steuerpflicht).
Rz. 55
Mit Urteil v. 8.6.2016 stellte der EuGH allerdings fest, dass auch § 2 Abs. 3 ErbStG keine geeignete Maßnahme darstellt, den sich aus § 16 Abs. 2 ErbStG ergebenden Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) zu heilen. Denn die Unionsrechtswidrigkeit einer Norm (hier § 16 Abs. 2 ErbStG) kann prinzipiell nicht durch die Einführung eines Wahlrechts geheilt werden, wenn die mit dem Unionsrecht nicht vereinbare Besteuerung den Regelfall darstellt und nur durch die Wahlrechtsausübung vermieden werden kann.
Außerdem sah der EuGH in dem 20 Jahre umfassenden Zusammenrechnungszeitraum des § 2 Abs. 3 ErbStG eine zusätzliche ungerechtfertigte Benachteiligung beschränkt Steuerpflichtiger, die als solche ebenfalls mit dem Petitum der Kapitalverkehrsfreiheit nicht vereinbar war.
Rz. 56
Vor diesem Hintergrund wurde § 2 Abs. 3 ErbStG durch das Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz (StUmgBG) aufgehoben; gleichzeitig erfolgte eine europarechtskonforme Anpassung von § 16 Abs. 2 ErbStG, durch die beschränkt Steuerpflichtigen ein modifizierter Freibetrag eingeräumt wurde/wird (vgl. hierzu § 16 ErbStG Rdn 9 ff.).
Rz. 57
Für Alt-Fälle, bei denen die Steuer nach dem 13.12.2011 und vor dem 25.6.2017 entstanden ist, gilt aber nach wie vor Folgendes:
§ 2 Abs. 3 ErbStG hatte folgenden Wortlaut:
(3) Auf Antrag des Erwerbers wird ein Vermögensanfall, zu dem Inlandsvermögen im Sinne des § 121 des Bewertungsgesetzes gehört (Absatz 1 Nummer 3), insgesamt als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt, wenn der Erblasser zur Zeit seines Todes, der Schenker zur Zeit der Ausführung der Schenkung oder der Erwerber zur Zeit der Entstehung der Steuer (§ 9) seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Staat hat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum anwendbar ist. In diesem Fall sind auch mehrere innerhalb von zehn Jahren vor dem Vermögensanfall und innerhalb von zehn Jahren nach dem Vermögensanfall von derselben Person anfallende Erwerbe als unbeschränkt steuerpflichtig zu behandeln und nach Maßgabe des § 14 zusammenzurechnen. Die Festsetzungsfrist für die Steuer endet im Fall des Satzes 2 Nummer 1 nicht vor Ablauf des vierten Jahres, nachdem die Finanzbehörde von dem Antrag Kenntnis erlangt.
II. Tatbestand
Rz. 58
§ 2 Abs. 3 ErbStG zielt darauf ab, das deutsche Erbschaftsteuerrecht an die Vorgaben des EuGH in der Entscheidung Mattner anzupassen. Vor diesem Hintergrund setzt die in § 2 Abs. 3 ErbStG geregelte Möglichkeit, zur unbeschränkten Steuerpflicht zu optieren, voraus, dass der an einem steuerpflichtigen Zuwendungsvorgang beteiligte Erblasser zur Zeit seines Todes, der Schenker zu Zeit der Ausführung der Schenkung bzw. der Erwerber zum Zeitpunkt der Steuerentstehung (§ 9 ErbStG) seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums hat. Der Tatbestand ist also ähnlich ausgestaltet wie der des § 2 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 ErbStG, allerdings mit dem Unterschied, dass die dort maßgebliche Inländer-Eigenschaft deutlich weiter gefasst ist. Für die Anwendbarkeit von § 2 Abs. 3 ErbStG kommt es hingegen allein auf den jeweiligen Wohnsitz, nicht auf den gewöhnlichen Aufenthalt oder gar einen ehemaligen Wohnsitz, eines der Beteiligten an (wegen des Wohnsitz-Begriffs vgl. Rdn 6 f.).
Rz. 59
Hinsichtlich des maßgeblichen Zeitpunkts wird – wie in § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 ErbStG – zwischen verschiedenen Varianten unterschieden: Im Falle der Anknüpfung an die Person des Erblassers kommt es entscheidend auf dessen Todeszeitpun...