1. Allgemeines
Rz. 4
§ 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG unterscheidet im Wesentlichen drei Gruppen von Personen, die der unbeschränkten Erbschaftsteuerpflicht unterliegen: die im Bundesgebiet Ansässigen (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 Buchst. a ErbStG), vor maximal fünf Jahren aus Deutschland weggezogene deutsche Staatsangehörige (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 Buchst. b ErbStG) und bestimmte Auslandsbedienstete (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 Buchst. c ErbStG).
Für andere als natürliche Personen kommt es gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 Buchst. d ErbStG auf deren Sitz im Inland an.
2. Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt im Inland
Rz. 5
Unabhängig von ihrer jeweiligen Staatsangehörigkeit gelten alle natürlichen Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 Buchst. a ErbStG – erbschaftsteuerrechtlich – als Inländer. Die Definitionen der Begriffe "Wohnsitz" und "gewöhnlicher Aufenthalt" richten sich nach §§ 8, 9 AO.
a) Wohnsitz
Rz. 6
Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird (§ 8 AO). Gerade vor dem Hintergrund, dass eine Person ohne Weiteres gleichzeitig mehrere Wohnsitze sowohl im In- als auch im Ausland besitzen kann, sind die Anforderungen an die Begründung bzw. das Beibehalten eines inländischen Wohnsitzes sowohl nach Verwaltungsauffassung als auch aus der Sicht der Rechtsprechung eher gering. So hat der BFH in einer viel zitierten Entscheidung eine im Eigentum des Steuerpflichtigen stehende Doppelhaushälfte, die nur wenige Wochen im Jahr (dies aber regelmäßig) zu Jagdaufenthalten genutzt wurde, als inländischen Wohnsitz angesehen. Nach neuerer Rechtsprechung kann bereits das (regelmäßige) Übernachten die Begründung eines Wohnsitzes zur Folge haben. Hat einer von zwei Ehegatten eine inländische Wohnung, wird – jedenfalls bei intakter Ehe – diese auch als inländischer Wohnsitz des anderen Ehegatten angesehen. Ausnahmsweise soll dies aber nicht gelten, wenn der Ehepartner "nur einmal jährlich für wenige Wochen mit einem Kurzvisum einreist" und sich im Übrigen im Ausland aufhält.
Rz. 7
Insgesamt ist bei der Subsumtion des § 8 AO vornehmlich auf objektive Merkmale im Besteuerungszeitpunkt abzustellen; subjektive Elemente spielen insofern – anders als beispielsweise bei der Auslegung des Begriffs "domicile" im anglo-amerikanischen Rechtskreis – keine entscheidende Rolle. Dies schlägt sich insb. auch im Rahmen der Frage, wo Kinder von Steuerinländern ihren erbschaftsteuerrechtlich maßgeblichen Wohnsitz haben, nieder: Während bei Kindern im Inland ansässiger ausländischer Staatsangehöriger ein mehrjähriger Auslandsaufenthalt – z.B. Schul- oder Studienaufenthalt – genügt, um einen inländischen Wohnsitz zu verneinen, wird bei deutschstämmigen Kindern regelmäßig ein inländischer Wohnsitz bei den Eltern unterstellt, auch wenn das Kind sich im Rahmen seiner Ausbildung längere Zeit im Ausland aufhält. Dies gilt natürlich umso mehr bei regelmäßigen Besuchen in der elterlichen Wohnung, die jedoch bei Kindern ausländischer Staatsangehöriger nur dann zu einem inländischen Wohnsitz führen, wenn sie mehrere Monate im Jahr andauern.
Im Einzelfall sind allerdings stets genaue Feststellungen zu den konkreten Zeiträumen, in denen sich der (potenziell) Steuerpflichtige in einer bestimmten inländischen Wohnung aufgehalten hat, erforderlich. Dabei ist auch zu prüfen, ob die Aufenthalte über bloße "Besuche" hinausgingen.
Rz. 8
Von der Definition des inländischen Wohnsitzes nach § 8 AO ist die Frage zu unterscheiden, ob der Bundesrepublik auch abkommensrechtlich das Besteuerungsrecht zusteht. Im Einzelfall ist die abkommensrechtliche Zuweisung des Besteuerungsrechts vorrangig, was aber nichts am Bestehen eines inländischen Wohnsitzes i.S.v. § 8 AO und der sich daraus ergebenden grundsätzlichen unbeschränkten Steuerpflicht ändert. Der abkommensrechtliche Wohnsitz im Ausland hat auf den inländischen Wohnsitz nach nationalem Recht keinen Einfluss. Dies alles gilt allerdings nur bei Eingreifen eines tatsächlich bestehenden Doppelbesteuerungsabkommens, fiktive Begrenzungen des Besteuerungsrechts kommen nicht in Betracht.