Rz. 6
§ 19 ErbStG stellt nach der Rspr. eine "Klammernorm" dar, über die Verstöße gegen den Gleichheitssatz bei der Bestimmung des steuerpflichtigen Erwerbs erst ihre Wirkung entfalten. Da das ErbStG in § 19 ErbStG je nach Steuerklasse und Wert des steuerpflichtigen Erwerbs einen einheitlichen Tarif vorsieht und Differenzierungen bei der Belastung des Steuerpflichtigen auf der Ebene der Ermittlung des steuerpflichtigen Erwerbs vornimmt, können gleichheits- und damit verfassungswidrige Vorschriften über die Ermittlung der Bemessungsgrundlagen (Bewertungs- oder Befreiungsvorschriften) zu einem gleichheits- und damit verfassungswidrigen Steuertarif führen. Die Belastungswirkung der Erbschaft- und Schenkungsteuer erschließt sich erst aus dem Zusammenwirken des Steuertarifs mit den ausdifferenzierten Vorschriften über die Bestimmung des steuerpflichtigen Erwerbs einschließlich der Regelungen über Steuerbefreiungen. Erst über den Tarif wirken sich die vom Gesetzgeber auf der Ebene der Erfassung des Erwerbs angeordneten Differenzierungen aus. Bei komplexeren Regelungswerken ergibt sich daher oft erst aus der Gesamtschau der Vorschriften (Bewertung, Vergünstigung und Tarif) und deren Auswirkungen eine Gleichheitswidrigkeit. Dabei führt nicht jeder Gleichheitsverstoß in einer Einzelregelung zur Unvereinbarkeit der Tarifnorm des § 19 Abs. 1 ErbStG mit Art. 3 Abs. 1 GG. Vielmehr muss im Hinblick darauf, dass eine verfassungswidrige Tarifnorm das gesamte Gesetz erfasst, die mit dem Gleichheitssatz unvereinbare Regelung nach der Zahl der betroffenen Steuerpflichtigen ebenso wie von ihrer wirtschaftlichen Bedeutung her wesentliche Teilbereiche des Erbschaft- und Schenkungsteuerrechts betreffen.
Rz. 7
Insgesamt erzeugt § 19 ErbStG im Zusammenwirken der Steuersätze mit persönlichen Freibeträgen, sachlichen Freistellungen und Begünstigungen sowie Bewertungsergebnissen im Einzelfall trotz des gleichen Steuersatzes eine individuelle Belastung, die gewöhnlich niedriger als die in der Steuersatztabelle ausgewiesene Belastung ist. Es ist mithin keineswegs so, dass z.B. ein Nachlass mit einem Steuerwert des Erwerbs von bis zu 600.000 EUR in Steuerklasse II tatsächlich mit einer Erbschaftsteuer von 25 % belastet ist. In dem Nachlass können z.B. steuerbefreite GmbH-Anteile, das steuerbefreite Familienwohnheim, begünstigte Mietwohnungen, Hausrat usw. enthalten sein, so dass der Verkehrswert des Nachlasses um ein Vielfaches höher als der Wert des steuerpflichtigen Erwerbs sein kann. Angenommen der Verkehrswert des Nachlasses betrüge 3 Mio. EUR, wäre die Belastung von 150.000 EUR (25 % vom Steuerwert 600.000 EUR) bezogen auf den Verkehrswert des Nachlasses von 3 Mio. EUR nur eine tatsächliche Erbschaftsteuerbelastung von 5 %.
Rz. 8
Die unterschiedliche Belastung ist zum einen durch die Verwandtschaftsverhältnisse verursacht. Die Belastungsdifferenzierung durch Verwandtschaft/Schwägerschaft darf man als nicht gelungen ansehen. Besonders begünstigt durch persönliche Freibeträge und Tarif sind insbesondere (nicht blutsverwandte) Ehegatten und eingetragene Lebenspartner sowie Kinder. Anderseits werden sehr nahe Verwandte (Geschwister) im Vergleich zu (blutsfremden) Ehegatten/Lebenspartner bzgl. des persönlichen Freibetrags und der Steuersätze erheblich schlechter behandelt (Freibetrag 500.000 EUR zu 20.000 EUR (Steuerklasse I zu II). Bzgl. des Steuersatzes bei Erwerben von engen blutsverwandten Verwandten (Geschwister, Neffen, Nichten) ist ab 2010 wieder eine gewisse Verbesserung eingetreten; in 2009 und vorher wurden sie genauso wie Nichtverwandte belastet. Unabhängig von Verwandtschaft etc. werden Erwerbe von nach §§ 13a–13c ErbStG begünstigtem Betriebsvermögen wiederum so besteuert, als ob der Erwerber ein Ehegatte/Lebenspartner/Kind wäre. Eine mich überzeugende Begründung des Gesetzgebers zu diesen Belastungsentscheidungen fehlt. Allerdings hat der Gesetzgeber bei der Verteilung der Steuerbelastung eine relativ große Gestaltungsfreiheit. Verfassungsrechtliche Grenzen wären Unterscheidungen nach Geschlecht, Rasse, etc. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar 2007 den Steuertarif nach § 19 ErbStG für verfassungswidrig erklärt, aber die damalige Tarifausgestaltung einschl. der Wirkung der persönlichen Freibeträge und Erleichterungen im Familienkreis als solche nicht beanstandet. In der Entscheidung des BVerfG v. 17.12.2014 hat es der Frage des eigentlichen Steuertarifs ebenfalls keine besondere Bedeutung zugemessen. Es mag zwar unbefriedigend sein, aber man muss davon ausgehen, dass § 19 ErbStG selbst mit all seinen immanenten Mängeln nicht verfassungswidrig ist.
Rz. 9
Auch alle anderen im Gesetz verteilten betragsmäßig genannten sachlichen Befreiungen, z.B. für Hausrat und bewegliche Gegenstände, Familienheim, Pflege, Beerdigungskosten und Nachlassabwicklung und die nicht betragsmäßig genannten Befreiungen, z.B. für Denkmalobjekte und andere in § 13 ErbStG genannten Erwerbe, wirken unterschiedlich auf die Steuerbelastung e...