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Nach der Gesetzessystematik stellt die Wertermittlung zu einem bestimmten Stichtag eine "Momentaufnahme" dar. Sie ist und kann nicht Gegenstand einer dynamischen Betrachtung sein. Daher sind Wertentwicklungen vor oder nach dem Bewertungsstichtag für die Bemessung der Bereicherung grundsätzlich unbeachtlich. Deshalb können z.B. Aktien nicht mit ihrem Durchschnittskurs des letzten Jahres bewertet oder kurzfristige Gewinnsprünge vor dem Stichtag eliminiert werden. Nachträglich eingetretene, also am Bewertungsstichtag noch nicht vorhandene Umstände sind wegen des Stichtagsprinzips und der Bewertung auf den Stichtag gem. §§ 9 Abs. 1, 11 ErbStG nicht auf den Bewertungsstichtag zurückzubeziehen, z.B. die spätere Uneinbringlichkeit einer Forderung, spätere niedrigere Betriebsergebnisse bei der Unternehmensbewertung; spätere Eintragung in das Handelsregister, Kündigung eines Gesellschaftsanteil mit Wirkung auf einen Stichtag nach dem Todestag durch den Erblasser, Anwendung von vor dem Stichtag festgestellten Liegenschaftszinsen, latente Ertragsteuerbelastung, private Steuererstattungsansprüche aus dem Veranlagungszeitraum, in den der Todeszeitpunkt des Erblassers fällt (aber ab 29.12.2020 gem. § 10 Abs. 1 S. 3 ErbStG zu erfassen). Zivilrechtlich rückwirkende oder zurückbezogene Vorgänge sowie die (ertrag-)steuerliche Rückwirkung wirken sich – vorbehaltlich der Regelungen in §§ 5–8 BewG – nicht auf den Gegenstand/Umfang einer Zuwendung aus. Eine Ausnahme besteht bei behördlichen Genehmigungen, die rückwirkend erteilt werden, d.h. in derartigen Fällen liegt ein Erwerb am zurückliegenden Zeitpunkt vor. Bei der Berechnung der Ausgangslohnsumme(§ 13a Abs. 3 S. 2 ErbStG, durchschnittliche Lohnsumme der letzten fünf vor dem Zeitpunkt der Entstehung der Steuer endenden Wirtschaftsjahre), sind auch solche Gehälter einzubeziehen, die die späteren Gesellschafter-Geschäftsführer der Personengesellschaft vor dem Erwerb als Arbeitnehmer bezogen hatten. Der Umstand, dass die Erwerber nach dem Erwerb weiterhin Vergütungen erhalten, oder gar die Frage, wie diese dann ertragsteuerlich zu qualifizieren sind, dürfen daher keinen Einfluss auf die Bestimmung des Ist-Zustands zum maßgeblichen Stichtag haben.
Wertaufhellende Erkenntnisse vor oder nach dem Stichtag können für die Wertermittlung unter bestimmten Voraussetzungen berücksichtigt werden. Es muss sich um Erkenntnisse handeln, die die Wertermittlung am Stichtag betreffen, z.B. werden Verkaufspreise von Grundstücken, die Erben innerhalb eines Jahres nach dem Erbanfall im gewöhnlichen Geschäftsverkehr erzielen, als gemeiner Wert am Bewertungsstichtag anerkannt, ebenso Verkäufe zwischen fremden Dritten, die weniger als ein Jahr zurückliegen für die Bewertung nichtnotierter Anteile (§ 11 Abs. 2 S. 2 BewG). Bei der Bewertung von Patenten ist nach den Verhältnissen am Bewertungsstichtag (§ 11 ErbStG) eine dem Einzelfall entsprechende Schätzung der verbleibenden wirtschaftlichen Nutzungsdauer vorzunehmen. Für Tatsachen, die eine insgesamt über acht Jahre hinausgehende Nutzungsdauer begründen sollen, trägt das FA die Feststellungslast. Bei Renten- und/oder Nutzungsrechten spielen nachträgliche Änderungen, Wertanpassungen u. dgl. – soweit sie nicht schon bei der Bewertung nach §§ 13 ff. BewG berücksichtig werden – keine Rolle. Auf die nachträgliche Berichtigungsmöglichkeit bei lebenslänglichen wiederkehrenden Leistungen nach § 14 Abs. 2 ff. BewG wird hingewiesen. Werden wertbeeinflussende Erkenntnisse erst nachträglich bekannt, können sie ggf. nach Maßgabe des § 173 AO noch nachträglich zu einer geänderten Wertfeststellung führen. Wird z.B. gegen ein Unternehmen nach dem Erbfall die Insolvenz eröffnet, kann dies ggf. nachträglich zu der Erkenntnis führen, dass das Unternehmen schon zum Bewertungsstichtag keinen aktiven gemeinen Wert mehr hatte. Wird aufgrund einer Außenprüfung festgestellt, dass der der Betriebsvermögensbewertung zugrunde gelegte Ertrag fälschlicherweise zu niedrig war, handelt es sich m.E. um einen wertaufhellenden Umstand, der im Rahmen der Korrekturregelungen noch zu einer geänderten Bewertung führen muss. Bei der Bewertung nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren (§ 199 Abs. 1 BewG) führt dieses zu offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen, wenn nach den Verhältnissen des Bewertungsstichtags offensichtlich ist, dass in Zukunft ein erheblich niedrigerer oder höherer Ertrag zu erwarten ist. Dabei können Verhältnisse und Gegebenheiten berücksichtigt werden, die im Bewertungszeitpunkt zwar noch nicht eingetreten, aber so hinreichend konkretisiert sind, dass mit ihnen zu diesem Zeitpunkt objektiv als Tatsachen zu rechnen ist. Wird ein Unternehmen/Betriebsvermögen stattdessen durch ein Unternehmenswertgutachten bewertet, sprechen § 12 Abs. 2 ErbStG und § 11 Abs. 2 S. 4 i.V.m. § 201 Abs. 2 S. 1 BewG dafür, dass auch bei der Anwendung einer anderen anerkannten, im gewöhnlichen Geschäftsverkehr für nichtsteuerliche ...