Raymond Halaczinsky, Ulrich Gohlisch
Rz. 70
Vorerbschaft und Nacherbschaft sind in den §§ 2100 ff. BGB und erbschaftsteuerlich in § 6 ErbStG geregelt. Zivilrechtlich sind Vorerben und Nacherben beide Erben des Erblassers, nur zeitlich nacheinander gelagert. Erbschaftsteuerlich erwirbt der Nacherbe dagegen vom Vorerben (§ 6 Abs. 2 S. 1 ErbStG). Erbschaftsteuerlich liegen zwei Vermögensübergänge vor, die beide Erbschaftsteuer auslösen können, so dass es zu einer Zweifachbesteuerung kommen kann. § 20 Abs. 4 ErbStG erlaubt und verpflichtet den Vorerben, die durch die Vorerbschaft veranlasste Steuer aus den Mitteln der Vorerbschaft zu entrichten. Die erbschaftsteuerliche Behandlung der Vor- und Nacherbschaft ergibt sich aus § 6 ErbStG; Näheres siehe Kommentierung des § 6 ErbStG.
Rz. 71
Der Vorerbe gilt als Erbe (§ 6 Abs. 1 ErbStG). Er erwirbt den Nachlass gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 ErbStG von Todes wegen und schuldet daher nach § 20 Abs. 1 S. 1 ErbStG die Erbschaftsteuer für diesen Erwerb, d.h. der Vorerbe ist Steuerschuldner. Daraus folgt, dass für seinen Erwerb, sobald die Freibeträge überstiegen sind, Erbschaftsteuer nach dem Verhältnis zum ursprünglichen Erblasser anfällt. Mit dem Eintritt des Falles der Nacherbfolge hört der Vorerbe nach § 2139 BGB auf, Erbe zu sein, und fällt die Erbschaft dem Nacherben an.
Der Vorerbe hat grds. die auf seinen Vorerwerb entfallende Erbschaftsteuer aus Mitteln der Vorerbschaft zu entrichten (§ 20 Abs. 4 ErbStG). Das bedeutet, dass er zur Entrichtung der Steuer kein eigenes Vermögen einsetzten muss, und hat die Konsequenz, dass wirtschaftlich das Vermögen, welches später auf den Nacherben übergeht, um die Erbschaftsteuer aus der Vorerbschaft reduziert ist. Die persönliche Steuer des Vorerben ist zivilrechtlich als eine auf der Vorerbschaft ruhende außerordentliche Last anzusehen. Zivilrechtlich hat der Vorerbe im Verhältnis zum Nacherben nicht die außerordentlichen Lasten zu tragen, die als auf den Stammwert der Erbschaftsgegenstände gelegt anzusehen sind (§ 2126 BGB). Auf diese Lasten findet § 2124 BGB Anwendung, d.h. der Vorerbe kann die Aufwendungen aus der Erbschaft bestreiten (§ 2124 Abs. 2 BGB). Entrichtet der Vorerbe die Erbschaftsteuer aus seinem Vermögen, steht ihm gegenüber dem Nacherben gem. § 2124 BGB ein Ausgleichsanspruch zu.
Rz. 72
Falls der Vorerbe die Steuer nicht aus dem der Nacherbschaft unterliegenden Vermögen, sondern aus seinem eigenen Vermögen zahlt, könnte darin eine Schenkung von ihm an den Nacherben oder dessen Rechtsnachfolger liegen (jedenfalls dann, wenn er auf den Ausgleichsanspruch verzichtet), denn nach § 20 Abs. 4 ErbStG hat er die Steuer aus den Mitteln der Vorerbschaft zu entnehmen; ihm steht es also nicht frei, wie es bei einer "Kann"-Bestimmung der Fall wäre. So wie ein Vorerbe die durch die Vorerbschaft veranlasste Steuer aus den Mitteln der Vorerbschaft nach § 20 Abs. 4 ErbStG zu entrichten hat, muss auch ein Vorvermächtnisnehmer die durch das Vorvermächtnis veranlasste Erbschaftsteuer aus den Mitteln des Vorvermächtnisses begleichen.
Rz. 73
Im Fall des Eintritts der Nacherbschaft ist der Nacherbe Steuerschuldner. Als Erblasser i.S.d. § 15 Abs. 1 ErbStG gilt grds. der Vorerbe (§ 6 Abs. 2 S. 1 ErbStG). Mithin kommt es in Fällen der Nacherbschaft für die Bestimmung der Steuerklasse des § 15 Abs. 1 ErbStG und damit mittelbar auch für die Höhe des Freibetrags nach § 16 Abs. 1 ErbStG sowie die Höhe des Steuersatzes nach § 19 Abs. 1 ErbStG auf das Verhältnis des Erwerbers, d.h. desjenigen, der im Zeitpunkt des Nacherbfalles Inhaber des Nacherbenanwartschaftsrechts ist, zum Vorerben an (vgl. aber § 6 Abs. 2 S. 2 ErbStG). Im Innenverhältnis hat der Nacherbe i.d.R. nach § 20 Abs. 4 ErbStG (als Gesamtschuldner) die durch den Vorerbfall veranlasste Erbschaftsteuer zu tragen. Ist der Vorerbe bei Eintritt des Nacherbfalls vor Festsetzung der Steuer gegenüber dem Vorerben schon verstorben, ändert sich daran grds. nichts. Der Rechtsnachfolger des Vorerben kann für die Steuer nur sekundär nach einer schlüssigen Ermessensentscheidung in Anspruch genommen werden.
Rz. 74
Nachvermächtnisse und beim Tod des Beschwerten fällige Vermächtnisse oder Auflagen stehen den Nacherbschaften gleich; Näheres siehe Kommentierung des § 6 Abs. 4 ErbStG.