Raymond Halaczinsky, Ulrich Gohlisch
1. Sicherstellung der Steuer
Rz. 76
Sinn und Zweck des § 20 Abs. 6 ErbStG ist es, zu verhindern, dass Vermögen vor der Entrichtung der Steuer dem Zugriff des deutschen Fiskus entzogen wird. Die Vorschrift des § 20 Abs. 6 und 7 ErbStG muss im Zusammenhang mit der Anzeigepflicht der Vermögensverwahrer, Vermögensverwalter und Versicherungsunternehmen nach § 33 ErbStG gesehen werden, denn durch diese Anzeigepflicht soll sichergestellt werden, dass das Finanzamt erfährt, über welche Vermögensgegenstände der Erblasser verfügte. Die Vorschrift des § 20 Abs. 6 ErbStG soll den vorsichtigen Umgang mit Vermögenstransfers ins Ausland gewährleisten oder, anders ausgedrückt, verhindern, dass ein zunächst realisierbarer Steueranspruch dadurch vereitelt wird, dass vor Entrichtung der Steuer das Vermögen ins Ausland verbracht oder im Ausland wohnhaften Berechtigten zur Verfügung gestellt wird. § 20 Abs. 6 S. 2 ErbStG ist nicht auf Schenkungen anzuwenden.
2. Zurverfügungstellung an Personen außerhalb des Geltungsbereiches dieses Gesetzes
Rz. 77
§ 20 Abs. 6 S. 1 ErbStG betrifft inländische Versicherungsunternehmen und inländische Zweigstellen ausländischer Versicherungsunternehmen.
Die Haftung nach § 20 Abs. 6 ErbStG setzt eine Steuerpflicht nach dem Versicherungsnehmer voraus. Versicherungssummen, die dem Versicherungsnehmer selbst ausgezahlt werden, stellen keinen erbschaftsteuerpflichtigen Vorgang dar. Bei einem entgeltlichen Erwerb von Ansprüchen aus Lebensversicherungsverträgen durch im Ausland ansässige Käufer begründet die im Anschluss an die Vertragskündigung zu leistende Auszahlung an den ausländischen Käufer keine Haftung der Versicherungsunternehmen nach § 20 Abs. 6 ErbStG, weil es sich hier um einen entgeltlichen Vorgang handelt.
Rz. 78
Werden Zahlungen dagegen an einen anderen als den Versicherungsnehmer geleistet, kann insoweit eine Schenkung des Versicherungsnehmers vorliegen und Schenkungsteuerpflicht gegeben sein. In Fällen dieser Art kann daher, wenn die Zahlung in das Ausland oder an einen ausländischen Berechtigten erfolgt und der Betrag 600 EUR übersteigt (§ 20 Abs. 7 ErbStG), eine Haftungsinanspruchnahme des Versicherungsunternehmens in Betracht kommen. Die Haftung nach § 20 Abs. 6 ErbStG setzt voraus, dass der "außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes wohnhafte Berechtigte" weder in der Bundesrepublik Deutschland seinen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt nach §§ 8 und 9 AO hatte. Das Finanzamt trifft insoweit die Nachweispflicht. Maßgebend ist dabei der Wohnsitz im Zeitpunkt der Auszahlung. Für das Entstehen der Haftung ist der Wohnsitz des berechtigten Erben und nicht der Wohnsitz des Bevollmächtigten maßgebend. Bei einer Mehrheit von Erben, von denen lediglich ein Teil zu den ausländischen Berechtigten i.S.d. § 20 Abs. 6 ErbStG zählt, tritt eine Haftung nicht ein, soweit die Bank das Guthaben den inländischen Miterben anteilig entsprechend ihren Erbquoten zur Verfügung stellt.
Rz. 79
Überweist eine Bank auf Anordnung des vom Erblasser über dessen Tod hinaus Bevollmächtigten Geldbeträge von einem inländischen Erblasserkonto auf das inländische Konto eines Dritten, haftet sie, wenn aus der Bankvollmacht des Erblassers hervorgeht, dass der Bevollmächtigte im Ausland wohnhaft ist und keine Unbedenklichkeitsbescheinigung des Finanzamts vorliegt. Die einem Versicherungsunternehmen im Rahmen des § 20 Abs. 6 ErbStG zur Vermeidung der Haftung erteilte bzw. von diesem begehrte "Unbedenklichkeitsbescheinigung" dient dem Interesse des Versicherungsunternehmens an der Vermeidung einer Haftung; Näheres siehe Rdn 91.
Rz. 80
Die Überweisung zur Begleichung von Steuerschulden des Erblassers oder unaufschiebbarer Erbfallverbindlichkeiten soll unschädlich sein. Allgemein stimmt die Finanzverwaltung Auszahlungen für bestimmte zweckgebundene Verfügungen bezüglich des Guthabens des Erblassers zugunsten der Erben nicht zu, auch wenn das zuständige Finanzamt eine Unbedenklichkeitsbescheinigung noch nicht erteilen kann. Hierzu zählen insb. Arztkosten und Krankenhauskosten, Beerdigungskosten i.S.d. § 1968 BGB einschließlich Kosten für Todesanzeigen und die Trauerfeier, Wohnungsmiete und Nebenkosten sowie Kosten für Energie, Wasser, Abwasser u.Ä., Kosten für die Grabanlage und Dauergrabpflege, Ausbezahlung von Pflichtteilen.