Dr. Jens Tersteegen, Prof. Dr. Thomas Reich
Rz. 102
Bei der Bewertung des Nachlasses sind auch Ausgleichungs- und Anrechnungspflichten zu berücksichtigen.
Rz. 103
Der Pflichtteilsberechtigte hat sich zunächst auf den Pflichtteil gem. § 2315 Abs. 1 BGB dasjenige anrechnen zu lassen, was ihm von dem Erblasser durch Rechtsgeschäft unter Lebenden mit der Bestimmung zugewendet worden ist, dass es auf den Pflichtteil angerechnet werden soll. § 2315 BGB ermöglicht es dem späteren Erblasser, den mit seinem Tod entstehenden Anspruch des Pflichtteilsberechtigten zu mindern, um so eine Doppelbeteiligung des Pflichtteilsberechtigten am Vermögen des Erblassers auszuschließen. Eine Anrechnung auf den Pflichtteil nach § 2315 BGB findet allerdings nur statt, wenn der Erblasser vor oder spätestens bei der Zuwendung die Anordnung über die Anrechnung getroffen hat. Eine nachträgliche Anrechnungsbestimmung ist unwirksam. Die Berechnung des aufgrund der Anrechnungsbestimmung verminderten Pflichtteils erfolgt nach § 2315 Abs. 2 BGB.
Rz. 104
Die sog. Ausgleichung hat zunächst unmittelbar Bedeutung für die Erbauseinandersetzung unter mehreren Miterben. Eine pflichtteilsrechtliche Bedeutung erhält die Ausgleichung über § 2316 BGB. Nach den §§ 2050 ff. BGB ist dasjenige, was ein Abkömmling von dem Erblasser bei dessen Lebzeiten als Ausstattung erhalten hat, bei der Auseinandersetzung zur Ausgleichung zu bringen, soweit der Erblasser nicht etwas anderes angeordnet hat. Eine Ausgleichungspflicht besteht allerdings nur dann, wenn die Abkömmlinge als gesetzliche Erben zur Erbfolge gelangen (§ 2050 Abs. 1 BGB), wenn der Erblasser die Abkömmlinge auf dasjenige als Erben eingesetzt hat, was sie als gesetzliche Erben erhalten würden (§ 2052 Fall 1 BGB) oder wenn er ihre Erbteile so bestimmt hat, dass sie zueinander in demselben Verhältnis stehen wie die gesetzlichen Erbteile (§ 2052 Fall 2 BGB). Eine Ausgleichungspflicht besteht in erster Linie, wenn es sich um eine Ausstattung handelt. Ausstattung ist dasjenige, was einem Kind mit Rücksicht auf seine Verheiratung oder die Erlangung einer selbstständigen Lebensstellung zur Begründung oder zur Erhaltung der Wirtschafts- oder Lebensstellung von dem Vater oder der Mutter zugewendet worden ist. Ebenso besteht aber dann eine Ausgleichungspflicht, wenn der Erblasser dies bei einer Zuwendung, die nicht Ausstattung ist, angeordnet hat (§ 2050 Abs. 3 BGB). Schließlich sind bestimmte Zuschüsse nach § 2050 Abs. 2 BGB auszugleichen. Bei der Erbauseinandersetzung führt die Ausgleichung nach den §§ 2050 ff. BGB unter Umständen zu einer erheblichen wertmäßigen Verschiebung der sich aus §§ 1924 ff. BGB an sich ergebenden Erbquoten. Dies hat auch Auswirkungen auf den Pflichtteilsanspruch. Bei der Berechnung des Pflichtteils ist daher eine hypothetische Ausgleichung durchzuführen.