Dr. Jens Tersteegen, Prof. Dr. Thomas Reich
Rz. 238
Mit seinen Entscheidungen vom 7.11.2006, 17.12.2014 und 10.4.2018 hat das BVerfG frühere Regelungen im Erbschaftsteuer- und im Bewertungsgesetz für verfassungswidrig erklärt. Jegliches Vermögen soll steuerlich (weitgehend) mit dem "gemeinen" Wert ("Verkehrswert") bewertet werden. Mit seinem Urteil vom 10.4.2018 hat das BVerfG dem Gesetzgeber aufgegeben, eine Neuregelung zur bisherigen Einheitsbewertung bis spätestens 31.12.2019 zu treffen. Die als unvereinbar mit Art. 3 GG festgestellten Regeln über die Einheitsbewertung dürfen längstens bis zum 31.12.2024 angewandt werden.
a) Vermögensarten
Rz. 239
In § 18 BewG sind Vermögensarten genannt, für die eine gesonderte Bewertung erfolgt:
▪ |
Land- und forstwirtschaftliches Vermögen |
▪ |
Grundvermögen |
▪ |
Betriebsvermögen. |
Rz. 240
Die Bewertungsvorschriften für Grundbesitz, von nichtnotierten Anteilen an Kapitalgesellschaften und von Betriebsvermögen für erbschaftsteuerliche Zwecke sind mit Wirkung vom 1.1.2009 in den §§ 157–203 BewG geregelt, seitdem aber bereits wieder mehrfach, meist in Detailfragen, geändert worden.
Rz. 241
Auch für die Bewertung von ausländischen Sachvermögen gilt nach § 31 BewG insbesondere der "gemeine Wert" nach § 9 BewG. Diese Vorschrift gilt auch für die ausländischen Teile einer wirtschaftlichen Einheit, die sich sowohl auf das Inland als auch auf das Ausland erstreckt. Für inländische Teile einer wirtschaftlichen Einheit, die sich sowohl auf das Inland als auch auf das Ausland erstreckt, gilt bis 31.12.2024 § 32 S. 2 BewG.
b) Bewertung von Grundbesitz
Rz. 242
Nach § 179 BewG werden unbebaute Grundstücke nach ihrer Fläche, multipliziert mit den von den Gutachterausschüssen ermittelten Bodenrichtwerten nach § 196 BauGB, bewertet.
Rz. 243
Der Wert bebauter Grundstücke ist abhängig von ihrer Nutzungsart entweder nach dem Vergleichswertverfahren, dem Ertragswertverfahren oder dem Sachwertverfahren zu ermitteln (§§ 182–191 BewG).
Rz. 244
Vorschriften für die Bewertung von "Sonderfällen", wie z.B. von Erbbaurechten, erbbaurechtsbelasteten Grundstücken, Gebäuden auf fremden Grund und Boden oder Grundstücke im Zustand der Bebauung, sind in den §§ 192–197 BewG geregelt.
Rz. 245
Bei allen Bewertungsverfahren nach §§ 179, 182–196 BewG ist es dem Steuerpflichtigen nach § 198 BewG unbenommen, einen niedrigeren gemeinen Wert durch Gutachten gemäß § 198 Abs. 2 BewG oder zeitnahe Vergleichsverkäufe gemäß § 198 Abs. 3 BewG nachzuweisen. Für den Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts gelten grundsätzlich die aufgrund des § 199 Abs. 1 des Baugesetzbuchs erlassenen Vorschriften.
c) Bewertung von nichtnotierten Anteilen an Kapitalgesellschaften und Betriebsvermögen (Einzelunternehmen und Mitunternehmeranteile)
Rz. 246
Lässt sich der gemeine Wert nicht aus Verkäufen unter fremden Dritten ableiten, die weniger als ein Jahr zurückliegen, können nichtnotierte Anteile an Kapitalgesellschaften, Einzelunternehmen und Mitunternehmeranteile auch nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren bewertet werden, wenn dieses Bewertungsverfahren nicht zu offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen führt (§§ 11 Abs. 2, 199 ff. BewG). In seinem Urteil vom 2.12.2020 hat der BFH entschieden, dass allein der Steuerpflichtige ein Wahlrecht zur Anwendung dieser Methode hat und weder die Finanzverwaltung noch ein Finanzgericht ohne Weiteres dem vereinfachten Ertragswertverfahren den Vorrang einräumen dürfen. Grundlage der Wertermittlung nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren ist der nachhaltig zu erzielende Jahresertrag, der aus den Ergebnissen der Vergangenheit abgeleitet werden kann (§ 201 BewG). Zur Ermittlung des Jahresertrages ist das Betriebsergebnis um die die in § 202 BewG genannten Hinzurechnungen und Kürzungen zu korrigieren. Der so ermittelte Jahresertrag ist mit dem nach § 203 BewG ermittelten Kapitalisierungsfaktor zu multiplizieren.
Rz. 247
Der Kapitalisierungsfaktor ist der Kehrwert des Kapitalisierungszinssatzes. Der Kapitalisierungszinssatz wurde bis zum 31.12.2015 aus dem Basiszinssatz, der jeweils auf den ersten Börsentag des Jahres ermittelt und jährlich vom Bundesfinanzministerium veröffentlicht wird, zzgl. 4,5 % berechnet. Der Basiszinssatz wurde im Januar 2014 auf 2,59 % festgesetzt; hieraus ergab sich für das Jahr 2014 ein Kapitalisierungsfaktor von 14,1. Ein Unternehmen wurde daher nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren mit dem 14,1-Fachen des korrigierten Jahresergebnisses besteuert; ein Wert, der nur selten durchsetzbar sein dürfte. Im Zweifel musste der Steuerpflichtige daher durch ein individuelles Gutachten einen niedrigeren Wert nachweisen. Für das Jahr 2015 wurde der Basiszinssatz sogar nur noch mit 0,99 % festgesetzt; hieraus ergab sich für das Jahr 2015 ein Kapitalisieru...