Gerhard Ring, Line Olsen-Ring
Rz. 107
Die vermögensrechtlichen Scheidungsfolgen zwischen den Ehegatten sind nach dem Gesetz dispositiv (für das Güterrecht siehe §§ 1408 Abs. 1, 1378 Abs. 3 S. 2 BGB; für den Versorgungsausgleich siehe § 1408 Abs. 2 BGB, § 6 VersAusglG; für den nachehelichen Unterhalt siehe § 1585c BGB). Es besteht also im Grundsatz Ehevertragsfreiheit. Diese findet allerdings ihre Grenzen in den allgemeinen gesetzlichen Schranken, so dass auch ehevertragliche Vereinbarungen wegen Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) unwirksam sein können.
Rz. 108
Der BGH hat bis in das Jahr 2001 die Sittenwidrigkeit ehevertraglicher Vereinbarungen nur in Ausnahmefällen bejaht. So wurden Unterhaltsvereinbarungen dort Grenzen gesetzt, wo sie objektiv zwangsläufig zur Sozialhilfebedürftigkeit eines Ehegatten führten. Einen Verzicht auch auf Kindesbetreuungsunterhalt gem. § 1570 BGB hat der BGH grds. nicht für sittenwidrig gehalten, selbst wenn die Verlobte bei Abschluss des Ehevertrages bereits schwanger war. Denn eine rechtliche Verpflichtung zur Heirat bestehe nicht, weswegen ein Ehegatte die Heirat auch von einem (rechtlich grds. möglichen) Unterhaltsverzicht abhängig machen könne. Diese Rspr. ist jedoch durch zwei Entscheidungen des BVerfG aus dem Jahr 2001 in Frage gestellt worden, in denen das BVerfG einen verfassungsrechtlichen Schutzanspruch (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 4 GG) der (künftigen) Ehefrau und werdenden Mutter gegen unangemessene Benachteiligungen durch einen Ehevertrag gewährte.
Rz. 109
Der BGH sah sich durch diese Entscheidungen des BVerfG veranlasst, seine bisherige Rspr. zur Ehevertragsfreiheit zu ändern, und hat in einem Grundsatzurteil vom 11.2.2004 ausführlich zur Wirksamkeits- und Ausübungskontrolle von Eheverträgen Stellung genommen. Dabei betont der BGH zwar den Grundsatz der Ehevertragsfreiheit: Einen unverzichtbaren Mindestgehalt an Scheidungsfolgen zugunsten des berechtigten Ehegatten kenne das geltende Recht nicht. Allerdings dürfe die grundsätzliche Disponibilität der Scheidungsfolgen nicht dazu führen, dass der Schutzzweck der gesetzlichen Regelungen durch vertragliche Vereinbarungen beliebig unterlaufen werde. Dies ist nach Ansicht des BGH dann der Fall, wenn eine evident einseitige und durch die individuelle Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse nicht gerechtfertigte Lastenverteilung entstünde, die hinzunehmen für den belasteten Ehegatten – bei angemessener Berücksichtigung der Belange des anderen Ehegatten und seines Vertrauens in die Geltung der getroffenen Abrede – bei verständiger Würdigung des Wesens der Ehe unzumutbar erscheine. Die Belastungen des einen Ehegatten wögen dabei umso schwerer und die Belange des anderen Ehegatten bedürften umso genauerer Prüfung, je unmittelbarer die vertragliche Abbedingung gesetzlicher Regelungen in den Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts eingreife. Insoweit sei eine Abstufung vorzunehmen. Zum Kernbereich gehören nach dem BGH in erster Linie der Unterhalt wegen Kindesbetreuung und in zweiter Linie der Alters- und Krankheitsunterhalt, dem Vorrang vor den übrigen Unterhaltstatbeständen (z.B. Ausbildungs- und Aufstockungsunterhalt) zukomme. Der Versorgungsausgleich stehe als vorweggenommener Altersunterhalt auf gleicher Stufe wie dieser und sei daher nicht uneingeschränkt abdingbar. Demgegenüber erweise sich der Zugewinnausgleich der ehevertraglichen Disposition am weitesten zugänglich.
Rz. 110
Dabei ist nach dem BGH eine zweistufige Prüfung erforderlich. In einem ersten Schritt ist die Wirksamkeitskontrolle des Ehevertrages anhand einer auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses bezogenen Gesamtwürdigung der individuellen Verhältnisse der Ehegatten vorzunehmen, insbesondere also hinsichtlich ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse und ihres geplanten oder bereits verwirklichten Lebenszuschnitts. Nach dem BGH kommt das Verdikt der Sittenwidrigkeit aber regelmäßig nur in Betracht, wenn durch den Vertrag Regelungen aus dem Kernbereich des gesetzlichen Scheidungsfolgenrechts ganz oder jedenfalls zu erheblichen Teilen abbedungen werden, ohne dass dieser Nachteil durch anderweitige Vorteile gemildert oder durch die besonderen Verhältnisse der Ehegatten gerechtfertigt wird. Soweit ein Vertrag danach Bestand hat, ist sodann im Rahmen der Ausübungskontrolle zu prüfen, ob und inwieweit ein Ehegatte die ihm durch einen Vertrag eingeräumte Rechtsmacht missbraucht, wenn er sich im Scheidungsfall gegenüber einer vom anderen Ehegatten begehrten gesetzlichen Scheidungsfolge darauf beruft, dass diese durch den Vertrag wirksam abbedungen sei (§ 242 BGB).
Rz. 111
Da der BGH in seinem Urt. v. 11.2.2004 konkrete Festlegungen weitgehend vermieden hat, bestand für die Vertragsgestaltung zunächst eine erhebliche Rechtsunsicherheit. Die ersten Gerichtsentscheidungen verschiedener Oberlandesgerichte hatten die Vorgaben des BGH unterschiedlich umgesetzt. Der BGH hat seine Rspr. mittlerweile in einigen weiteren Entscheidungen konkretisiert. Allgemei...