Dr. Jens Tersteegen, Prof. Dr. Thomas Reich
Rz. 246
Lässt sich der gemeine Wert nicht aus Verkäufen unter fremden Dritten ableiten, die weniger als ein Jahr zurückliegen, können nichtnotierte Anteile an Kapitalgesellschaften, Einzelunternehmen und Mitunternehmeranteile auch nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren bewertet werden, wenn dieses Bewertungsverfahren nicht zu offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen führt (§§ 11 Abs. 2, 199 ff. BewG). In seinem Urteil vom 2.12.2020 hat der BFH entschieden, dass allein der Steuerpflichtige ein Wahlrecht zur Anwendung dieser Methode hat und weder die Finanzverwaltung noch ein Finanzgericht ohne Weiteres dem vereinfachten Ertragswertverfahren den Vorrang einräumen dürfen. Grundlage der Wertermittlung nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren ist der nachhaltig zu erzielende Jahresertrag, der aus den Ergebnissen der Vergangenheit abgeleitet werden kann (§ 201 BewG). Zur Ermittlung des Jahresertrages ist das Betriebsergebnis um die die in § 202 BewG genannten Hinzurechnungen und Kürzungen zu korrigieren. Der so ermittelte Jahresertrag ist mit dem nach § 203 BewG ermittelten Kapitalisierungsfaktor zu multiplizieren.
Rz. 247
Der Kapitalisierungsfaktor ist der Kehrwert des Kapitalisierungszinssatzes. Der Kapitalisierungszinssatz wurde bis zum 31.12.2015 aus dem Basiszinssatz, der jeweils auf den ersten Börsentag des Jahres ermittelt und jährlich vom Bundesfinanzministerium veröffentlicht wird, zzgl. 4,5 % berechnet. Der Basiszinssatz wurde im Januar 2014 auf 2,59 % festgesetzt; hieraus ergab sich für das Jahr 2014 ein Kapitalisierungsfaktor von 14,1. Ein Unternehmen wurde daher nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren mit dem 14,1-Fachen des korrigierten Jahresergebnisses besteuert; ein Wert, der nur selten durchsetzbar sein dürfte. Im Zweifel musste der Steuerpflichtige daher durch ein individuelles Gutachten einen niedrigeren Wert nachweisen. Für das Jahr 2015 wurde der Basiszinssatz sogar nur noch mit 0,99 % festgesetzt; hieraus ergab sich für das Jahr 2015 ein Kapitalisierungsfaktor von 18,2. Je weiter die langfristig erzielbaren Renditen der öffentlichen Anleihen durch die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank gesenkt wurden, desto höher stiegen die Werte der Unternehmen. Um diese sichtlich unzutreffenden Bewertungen zu verhindern, wurde in § 203 Abs. 1 BewG für Bewertungsstichtage nach dem 31.12.2015 der Kapitalisierungsfaktor mit 13,75 festgeschrieben und das BMF ermächtigt, diesen mit Zustimmung des Bundesrates bei sich ändernden Zinsstrukturdaten durch Rechtsverordnung anzupassen.