Dr. Jens Tersteegen, Prof. Dr. Thomas Reich
I. Allgemeines
Rz. 94
Für bestimmte nahe Verwandte ist zwingend eine vermögensmäßige Beteiligung am Nachlass vorgesehen. Dabei ist das Pflichtteilsrecht nicht als echtes Noterbrecht ausgestaltet. Die Pflichtteilsberechtigten erhalten keine quotenmäßige Beteiligung am Nachlass und werden auch nicht Erben. Sie haben vielmehr nur einen Geldanspruch gegen den Erben bzw. die Erbengemeinschaft. Der Pflichtteilsberechtigte ist also nicht an der Erbengemeinschaft beteiligt. Er hat keinen Einfluss auf die Verwaltung des Nachlasses, kann nicht über Nachlassgegenstände verfügen und ist auch nicht berechtigt, bei der Erbauseinandersetzung mitzuwirken.
II. Voraussetzungen des Pflichtteilsanspruchs
Rz. 95
Der Kreis der abstrakt Pflichtteilsberechtigten ist in § 2303 BGB geregelt. Zu den Pflichtteilsberechtigten gehören zunächst die Abkömmlinge des Erblassers und gem. § 2303 Abs. 2 BGB auch dessen Eltern und der Ehegatte (selbstverständlich auch der gleichgeschlechtliche) sowie gem. § 10 Abs. 6 S. 1 LPartG der eingetragene Lebenspartner. Die früher bestehende Unterscheidung zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern ist mit Inkrafttreten des Erbrechtsgleichstellungsgesetzes am 1.4.1998 entfallen. Auch angenommene Kinder und deren Abkömmlinge sind pflichtteilsberechtigt. Bei der Volladoption eines Minderjährigen wird dieser vollständig rechtlich in die Adoptivfamilie eingegliedert und scheidet vollständig aus der Ursprungsfamilie aus (§§ 1754, 1755 BGB). Damit ist das angenommene Kind vollständig erb- und pflichtteilsberechtigt nach seinen Adoptiveltern. Bei einer Volljährigenadoption bleiben die Beziehungen zu den leiblichen Eltern bestehen. Der Angenommene ist sowohl nach den leiblichen Eltern als auch nach den Adoptiveltern pflichtteilsberechtigt (§§ 1767 Abs. 2, 1754, 1170 BGB – ebenso umgekehrt).
Rz. 96
Konkret pflichtteilsberechtigt sind die genannten Personen aber nur, wenn die jeweilige Person bei Geltung der gesetzlichen Erbfolge zur Erbfolge gelangt wäre. So ist ein Enkelkind nicht pflichtteilsberechtigt, wenn es durch seine noch lebenden Eltern von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen wird. Ist der Berechtigte nicht vollständig von der Erbfolge ausgeschlossen, sind die Voraussetzungen des § 2303 BGB grundsätzlich nicht gegeben. Allerdings kann in diesen Fällen ein Anspruch auf den Pflichtteilsrest aus § 2305 BGB bestehen (sog. Zusatzpflichtteil). Ist dem Pflichtteilsberechtigten nur ein Vermächtnis hinterlassen, so kann er gem. § 2307 BGB den Pflichtteil verlangen, wenn er das Vermächtnis ausschlägt.
III. Höhe des Pflichtteilsanspruchs
1. Grundsätze
Rz. 97
Der Pflichtteil beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Die Pflichtteilsquote eines Ehegatten bestimmt sich dabei in Abhängigkeit von dessen Güterstand (siehe Rdn 20 ff.).
Rz. 98
Lebten die Ehegatten im Güterstand der Zugewinngemeinschaft, so hängt die Höhe des Pflichtteils davon ab, ob es zur erb- oder güterrechtlichen Lösung kommt. Wird der Ehegatte nicht Erbe oder Vermächtnisnehmer (güterrechtliche Lösung), so kann er den kleinen Pflichtteil, d.h. die Hälfte des nicht erhöhten Ehegattenerbteils, verlangen, neben Erben der ersten Ordnung also ⅛. Daneben erhält er den nach den güterrechtlichen Vorschriften berechneten Zugewinnausgleich. Wird der Ehegatte dagegen Erbe oder Vermächtnisnehmer (erbrechtliche Lösung), so steht ihm der nach § 1371 Abs. 1 BGB um ¼ erhöhte Erbteil zu, so dass seine Pflichtteilsquote neben Abkömmlingen ¼ beträgt (großer Pflichtteil). Der große Pflichtteil hat für den Ehegatten nur Bedeutung für Ansprüche aus §§ 2305, 2306, 2307 BGB (Pflichtteilsrest) oder § 2325 BGB (Pflichtteilsergänzung).
Rz. 99
Sofern Gütertrennung bestand, ist die Höhe der Pflichtteilsquote abhängig von der Zahl der Kinder. Bei einem Kind beträgt die Pflichtteilsquote ¼, bei zwei Kindern 1/6 und bei drei und mehr Kindern jeweils ⅛.
Rz. 100
Lebten die Ehegatten im Güterstand der Gütergemeinschaft, so beträgt die Pflichtteilsquote ⅛ (siehe auch Übersicht Rdn 25; zu Lebenspartnern i.S.d. LPartG siehe Übersicht Rdn 32).
Rz. 101
Für die Berechnung des Pflichtteils wird grundsätzlich der Wert des Nachlasses zum Zeitpunkt des Erbfalls zugrunde gelegt (§ 2311 BGB). Maßgeblich ist insofern der sog. gemeine Wert, also der Verkaufswert (nicht dagegen der Buchwert oder der steuerliche Einheitswert).
2. Ausgleichung und Anrechnung
Rz. 102
Bei der Bewertung des Nachlasses sind auch Ausgleichungs- und Anrechn...