Dr. Jens Tersteegen, Prof. Dr. Thomas Reich
I. Vorbemerkung
Rz. 191
In der jüngeren Vergangenheit war die Tätigkeit des deutschen Steuergesetzgebers im Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht insbesondere durch den Versuch geprägt, die Begünstigungsvorschriften für Betriebsvermögen (und Grundvermögen) an die Vorgaben des BVerfG anzupassen. Mittlerweile gewinnt daneben die Rechtsprechung des EuGH immer größeren Einfluss, vor allem bei Regelungen, die beschränkt Steuerpflichtige schlechter behandeln als unbeschränkt Steuerpflichtige. Es fällt dem deutschen Gesetzgeber ersichtlich nicht leicht, europarechtskonforme Lösungen zu entwickeln. Nach der Rechtsprechung des EuGH muss auch das Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht die vom Gemeinschaftsrecht gewährleisteten Grundfreiheiten beachten. Die Reaktion des deutschen Gesetzgebers auf diese Rechtsprechung zu Unterschieden bei den Freibeträgen nach § 16 ErbStG für unbeschränkte und beschränkte Steuerpflichtige war (zunächst) die Einführung eines Optionsrechts beschränkt Steuerpflichtiger zur unbeschränkten Steuerpflicht (§ 2 Abs. 3 ErbStG a.F.), dessen spätere Aufhebung sowie die nunmehrige Einführung der Gewährung der auch für unbeschränkt Steuerpflichtige geltenden individuellen Freibeträge (§ 16 Abs. 1 ErbStG) für beschränkt Steuerpflichtige, allerdings mit einer Minderung, wenn sie auch nicht in Deutschland steuerpflichtiges Vermögen erwerben (§ 16 Abs. 2 ErbStG), sowie die Öffnung des besonderen Versorgungsfreibetrages durch Abs. 3 des § 17 ErbStG für (bestimmte) beschränkt Steuerpflichtige. Auch das Jahressteuergesetz 2024 nimmt nach dem Beschluss des Bundeskabinetts vom 5.6.2024 mehrere unionrechtskonforme Anpassungen bei § 10 Abs. 6, § 13d und § 28 Abs. 3 ErbStG vor, nachdem der EuGH etwa mit seinem Urteil vom 21.12.2021 (Rs. C – 394/20) die Nichtabzugsfähigkeit von Pflichtteilsverbindlichkeiten bei beschränkter Steuerpflicht als Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit beurteilt hat; dazu Rdn 235.
II. Steuertatbestände
1. Vermögenserwerb von Todes wegen
Rz. 192
Die der Erbschaftsteuer/Schenkungsteuer unterliegenden Vorgänge sind in § 1 Abs. 1 ErbStG aufgezählt. Der Besteuerung unterliegen demnach:
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Erwerbe von Todes wegen (§ 3 ErbStG) |
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Schenkungen unter Lebenden (§ 7 ErbStG) |
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Zweckzuwendungen (§ 8 ErbStG) |
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alle 30 Jahre das Vermögen von Familienstiftungen (Erbersatzsteuer). |
Rz. 193
Der Erbanfall, als Grundfall des Erwerbs von Todes wegen, ist nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG steuerpflichtig. Für die Erbschaftsteuerpflicht ist es dem Grunde nach irrelevant, ob ein Erwerb aufgrund gesetzlicher oder gewillkürter Erbfolge oder aufgrund Erb- oder Vermächtniseinsetzung erfolgt.
Rz. 194
Soweit mehrere Personen durch Testament oder Erbvertrag oder kraft Gesetzes gemeinschaftlich Erben geworden sind, entsteht zwischen den Miterben eine Erbengemeinschaft (§ 2033 Abs. 1 BGB). Steuerlich wird jeder einzelne Miterbe aber so behandelt, als habe er an jedem einzelnen Nachlassgegenstand (Vermögen und Schulden) einen Bruchteil entsprechend seiner Erbquote erworben (§ 39 Abs. 2 Nr. 2 AO); für die Erbschaftsteuer ist es daher grundsätzlich irrelevant, wie sich die Miterben später auseinandersetzen oder ob sogar eine Teilungsanordnung nach § 2048 BGB vom Erblasser getroffen worden ist. Für die Besteuerung wird jedem einzelnen Erben der seiner Erbquote entsprechende, nach den erbschaft- und bewertungsrechtlichen Vorschriften ermittelte Reinwert des Nachlasses zugerechnet. Die Erbauseinandersetzung ist somit vom Erbfall losgelöst zu betrachten und völlig selbstständig auf dadurch möglicherweise sogar begründete (weitere) Steuerfolgen hin zu untersuchen. Soweit erbschaftsteuerliche Begünstigungen für Betriebsvermögen (§§ 13a ff., 19a ErbStG) oder vermietete Wohnimmobilien (§ 13d ErbStG) bestehen, werden diese allerdings nur demjenigen gewährt, der in eigener Person die Voraussetzungen für die Begünstigungen erfüllt und das Vermögen übernimmt.
Rz. 195
Einer Teilungsanordnung kommt lediglich dann Bedeutung für die Besteuerung zu, wenn mit dieser eine Wertverschiebung verbunden ist – dann handelt es sich allerdings i.d.R. um ein Vorausvermä...