Gerhard Ring, Line Olsen-Ring
1. Zerrüttungsprinzip
Rz. 57
Seit 1977 wird das Scheidungsrecht nicht mehr durch das zuvor geltende Schuldprinzip, sondern durch das Zerrüttungsprinzip gekennzeichnet. Nach geltendem Recht kommt es nicht mehr darauf an, ob und von wem die Zerrüttung der Ehe verursacht und verschuldet ist. Das Gesetz sieht als einzigen Scheidungsgrund vielmehr das Scheitern der Ehe vor (§ 1565 Abs. 1 S. 1 BGB). Die Ehe ist gescheitert, wenn die Lebensgemeinschaft der Ehegatten nicht mehr besteht und nicht erwartet werden kann, dass die Ehegatten sie wiederherstellen (§ 1565 Abs. 1 S. 2 BGB). Auch bei einer einvernehmlichen Scheidung (Konventionalscheidung) führt nicht das Einvernehmen der Ehegatten zur Scheidung, sondern allein die gerichtliche Feststellung der Zerrüttung.
Rz. 58
Das Nichtbestehen der ehelichen Lebensgemeinschaft i.S.d. § 1565 Abs. 1 S. 2 BGB ist nicht mit dem Getrenntleben gem. § 1567 Abs. 1 BGB gleichzusetzen. Das Getrenntleben ist zwar ein Indiz für die Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft; das Getrenntleben allein genügt jedoch nicht. Es kommt darauf an, ob die konkrete, von den subjektiven Vorstellungen der Ehegatten getragene Gemeinschaft endgültig zerstört ist. Dies kann auch ohne ein vorheriges Getrenntleben der Fall sein. Besteht die eheliche Lebensgemeinschaft nicht mehr, ist ferner die Prognose erforderlich, dass die Ehegatten sie nicht wiederherstellen werden.
2. Scheidungsvermutungen
Rz. 59
Um den Ehegatten zu ersparen, ihre ehelichen Verhältnisse gegenüber dem Gericht in allen Einzelheiten offenzulegen, und das Gericht von der Feststellung der Zerrüttung zu entlasten, stellt das Gesetz in § 1566 BGB zwei unwiderlegliche Vermutungen für das Scheitern der Ehe auf: Leben die Ehegatten seit einem Jahr getrennt und beantragen beide die Scheidung oder stimmt der Antragsgegner der Scheidung zu, wird unwiderlegbar vermutet, dass die Ehe gescheitert ist (§ 1566 Abs. 1 BGB). Der Ehescheidung kann dann lediglich die Kinderschutzklausel gem. § 1568 Var. 1 BGB (siehe Rdn 61) entgegenstehen. Leben die Ehegatten seit drei Jahren getrennt, wird auch bei einem nur einseitigen Scheidungsbegehren das Scheitern der Ehe unwiderlegbar vermutet (§ 1566 Abs. 2 BGB). In diesem Fall ist die Ehe daher zu scheiden, wenn nicht ausnahmsweise die Härteklausel des § 1568 BGB (Var. 1 oder 2) eingreift. Im Jahr 2017 wurden in der Bundesrepublik Deutschland 153.501 Ehen geschieden, davon 126.823 aufgrund der Vermutung des § 1566 Abs. 1 BGB (ca. 82,6 %), 25.032 aufgrund der Vermutung des § 1566 Abs. 2 BGB (ca. 16,3 %), 1.346 über die Härteklausel des § 1565 Abs. 2 BGB (ca. 0,9 %) und 300 aufgrund anderer Vorschriften (ca. 0,2 %). 96 Ehen wurden aufgehoben (zur aufhebbaren Ehe siehe Rdn 8), und 207 Anträge wurden abgelehnt.
3. Härteklauseln
Rz. 60
Um leichtfertigen, voreiligen und rechtsmissbräuchlichen Scheidungen vorzubeugen und die Zerrüttungsprognose zu erleichtern, bestimmt § 1565 Abs. 2 BGB, dass die Ehe vor Ablauf eines Trennungsjahres nur geschieden werden kann, wenn ihre Fortsetzung für den Antragsteller aus Gründen, die in der Person des anderen Ehegatten liegen, eine unzumutbare Härte darstellen würde. Hierbei legt die Rspr. strenge Maßstäbe an.
Rz. 61
Auch wenn die Ehe gescheitert ist, soll sie nach der Härteklausel des § 1568 BGB nicht geschieden werden, wenn und solange die Aufrechterhaltung der Ehe im Interesse der aus der Ehe hervorgegangenen minderjährigen Kinder aus besonderen Gründen ausnahmsweise notwendig ist – Kinderschutzklausel – oder wenn die Scheidung für den Antragsgegner, der sie ablehnt, aufgrund außergewöhnlicher Umstände eine so schwere Härte darstellen würde, dass die Aufrechterhaltung der Ehe auch unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers ausnahmsweise geboten erscheint – persönliche Härteklausel. Diese Härteklausel setzt in beiden Varianten atypische Folgen der Scheidung in außergewöhnlichen Einzelfällen voraus, wobei von der Rspr. wiederum strenge Maßstäbe angelegt werden. Der etwaige Verlust des Aufenthaltsrechts eines Ausländers ist bereits an das Getrenntleben geknüpft (siehe Rdn 53), so dass die Ehescheidung hierfür nicht kausal ist. Die infolge der Ehescheidung etwa drohende Abschiebung genügt für sich allein ebenfalls nicht.