Dr. Jens Tersteegen, Prof. Dr. Thomas Reich
1. Erbfolge nach Ordnungen
Rz. 8
Das deutsche Recht geht für das Verwandtenerbrecht zunächst vom sog. Parentelsystem aus und teilt die Verwandten entsprechend in Ordnungen ein. Verwandte der näheren Ordnung schließen die Verwandten der entfernteren Ordnungen von der Erbfolge aus (§ 1930 BGB). Erben der zweiten Ordnung kommen also nur dann zum Zuge, wenn keine Erben der ersten Ordnung vorhanden sind.
Rz. 9
Gesetzliche Erben der ersten Ordnung sind gem. § 1924 BGB die Abkömmlinge (Kinder, Enkel, Urenkel etc.) des Erblassers. Sie erben nach Stämmen (§ 1924 Abs. 3 BGB). Jedem Stamm steht ein gleicher Anteil zu (§ 1924 Abs. 4 BGB). Innerhalb eines Stammes gilt das sog. Repräsentationsprinzip: Lebende Stammeltern schließen ihre Abkömmlinge von der Erbfolge aus (§ 1924 Abs. 3 BGB). Folglich gelangen die Enkel des Erblassers nicht zur Erbfolge, solange der Abkömmling des Erblassers, von dem sie abstammen, noch lebt. Daneben gilt innerhalb des Stammes aber auch das sog. Eintrittsrecht (§ 1924 Abs. 3 BGB): An die Stelle eines im Zeitpunkt des Erbfalls nicht mehr lebenden Abkömmlings treten dessen Kinder. Lebt also ein Kind des Erblassers nicht mehr, so gelangen die von diesem Kind abstammenden Enkelkinder des Erblassers zur Erbfolge. Sie teilen sich dann die auf den Stamm entfallende Erbquote.
Rz. 10
Erben der zweiten Ordnung sind gem. § 1925 Abs. 1 BGB die Eltern des Erblassers bzw. deren Abkömmlinge. Leben beide Eltern, so erben sie gem. § 1925 Abs. 2 BGB je zur Hälfte. In der zweiten Ordnung spricht man insofern von der Erbfolge nach Linien. Jede Linie (die väterliche und die mütterliche) erhält denselben Erbteil. Lebt ein Elternteil nicht mehr, so treten an dessen Stelle seine Abkömmlinge (Geschwister des Erblassers und dessen Abkömmlinge – Neffen, Nichten etc.) nach den Regeln der ersten Ordnung (§ 1925 Abs. 3 S. 1 BGB). Sind Abkömmlinge nicht vorhanden, so erbt der überlebende Elternteil allein.
Rz. 11
Erben der dritten Ordnung sind die Großeltern und deren Abkömmlinge (§ 1926 Abs. 1 BGB). Leben zur Zeit des Erbfalls alle Großeltern, so erben sie allein und zu gleichen Teilen (§ 1926 Abs. 2 BGB). An die Stelle eines verstorbenen Großelternteils treten dessen Abkömmlinge (§ 1926 Abs. 3 S. 1 BGB). Soweit Abkömmlinge nicht vorhanden sind, fällt der Anteil des verstorbenen Großelternteils an den anderen Großelternteil in derselben Linie (§ 1926 Abs. 3 S. 2 BGB). Nur wenn beide Großelternteile einer Linie verstorben sind, ohne Abkömmlinge zu hinterlassen, fällt ihr Anteil an die anderen Großeltern (§ 1926 Abs. 4 BGB).
Rz. 12
Ab der vierten Erbordnung wird vom Parentelsystem auf das Gradualsystem gewechselt. Erben der vierten Ordnung sind grundsätzlich die Urgroßeltern. Überlebende Urgroßeltern erben allein und nach Kopfteilen, ohne Unterschied, ob sie derselben Linie oder verschiedenen Linien angehören (§ 1928 Abs. 2 BGB). Lediglich wenn keine Urgroßeltern mehr leben, so erbt von ihren Abkömmlingen derjenige, welcher mit dem Erblasser dem Grade nach am nächsten verwandt ist (§ 1928 Abs. 3 BGB, Gradualsystem). Gesetzliche Erben der ferneren Ordnungen sind dann die entfernteren Voreltern des Erblassers und deren Abkömmlinge, wobei hier das Gradualsystem vollständig gilt (§ 1929 BGB).
Rz. 13
Übersicht: Erbfolge nach Ordnungen
Ordnung |
Erben |
System |
1. Ordnung, § 1924 BGB |
Abkömmlinge (Kinder, Enkel, Urenkel etc.) |
▪ |
Nach Stämmen – zu gleichen Anteilen |
▪ |
Repräsentationsprinzip: Lebende Stammeltern schließen Abkömmlinge aus. |
▪ |
Eintrittsrecht: An die Stelle nicht mehr lebender Abkömmlinge treten deren Abkömmlinge. |
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2. Ordnung, § 1925 BGB |
Eltern des Erblassers und deren Abkömmlinge (Geschwister, Nichten, Neffen des Erblassers etc.) |
▪ |
Erbfolge nach Linien: Väterliche und mütterliche Linie erhalten denselben Anteil. |
▪ |
An die Stelle verstorbener Eltern treten die Abkömmlinge. |
▪ |
Sind Abkömmlinge nicht vorhanden, erbt der überlebende Elternteil allein. |
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3. Ordnung, § 1926 BGB |
Großeltern und deren Abkömmlinge |
▪ |
Großeltern erben zu gleichen Teilen. |
▪ |
Abkömmlinge treten an die Stelle verstorbener Großeltern. |
▪ |
Sind Abkömmlinge nicht vorhanden, so fällt der Anteil des verstorbenen Großelternteils an das andere Großelternteil derselben Linie. |
▪ |
Sind beide Großeltern einer Linie ohne Abkömmlinge verstorben, fällt der Teil an die andere Linie. |
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4. Ordnung und fernere Ordnungen, § 1928 BGB |
Urgroßeltern und weitere Voreltern |
▪ |
Gradualsystem |
▪ |
Überlebende Urgroßeltern erben allein. |
▪ |
Leben keine Urgroßeltern mehr, so erbt der Abkömmling, der mit dem Erblasser am nächsten verwandt ist. |
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Nähere Ordnungen schließen entferntere Ordnungen von der Erbfolge aus. |
2. Eheliche und nichteheliche Kinder
Rz. 14
Das deutsche Recht unterscheidet nicht mehr zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern. Nichteheliche Kinder sind bei Erbfällen, die nach dem 1.4.1998 eingetreten sind, den ehelichen Kindern vollständig gleichgestellt und haben ein volles Erbrecht.
Rz. 15
Bis zum 30.6.1970 stand den nichtehelichen Kindern dagegen kein Erbrecht nach ihrem Vater und den väterlichen Verwandten zu. Diese Regelung wurde durch das Nich...