Dr. Jens Tersteegen, Prof. Dr. Thomas Reich
1. Allgemeines
Rz. 151
Zur Abwicklung des Nachlasses ist in Deutschland die Beteiligung der Nachlassgerichte nicht zwingend. Dies folgt schon aus dem Grundsatz der Universalsukzession und des Vonselbsterwerbs. Der Nachlass geht als Ganzes auf den oder die Erben über. Insofern besteht auch keine zwingende Verpflichtung, einen Erbschein zu beantragen, um das Erbrecht nachzuweisen, obwohl dies aus praktischen Gründen (Nachweis gegenüber Behörden, Banken etc.) oft erforderlich sein wird.
2. Eröffnung einer Verfügung von Todes wegen
Rz. 152
Die Nachlassgerichte sind auch für die Eröffnung der Verfügungen von Todes wegen zuständig (§ 342 Abs. 1 Nr. 3 FamFG). § 2259 BGB statuiert eine Ablieferungspflicht an das Nachlassgericht für jeden, der ein Testament eines Verstorbenen im Besitz hat. Mit der Eröffnung des Testaments findet keine rechtliche Wertung statt. Vielmehr wird das Testament nur in einem formalisierten Verfahren eröffnet und verkündet. Das Gericht teilt den Inhalt des Testaments den Beteiligten, soweit er sie betrifft, gem. § 349 Abs. 3 FamFG mit (Übersendung einer Abschrift).
3. Sicherung des Nachlasses
a) Grundlagen
Rz. 153
Da der Nachlass mit dem Tod des Erblassers ohne weiteres auf den Erben übergeht (§ 1922 BGB), gibt es keinen erbenlosen Nachlass. Dies bedeutet nicht, dass es nicht Fälle gibt, in denen der Nachlass ohne tatsächliche Verwaltung ist, sei es, weil die Rechtslage unklar ist oder weil der Erbe die Erbschaft noch nicht angenommen hat oder weil der Erbe schlicht unbekannt bzw. sein Aufenthalt nicht ermittelbar ist.
Rz. 154
Deswegen regelt § 1960 Abs. 1 BGB, dass bis zur Annahme der Erbschaft bzw. wenn der Erbe unbekannt ist oder ungewiss ist, ob er die Erbschaft angenommen hat, das Nachlassgericht für die Sicherung des Nachlasses zu sorgen hat, soweit ein Fürsorgebedürfnis besteht. Zuständig ist das Amtsgericht am letzten Wohnsitz des Erblassers als Nachlassgericht (§ 343 FamFG). Daneben zuständig ist jedes Amtsgericht, in dessen Bezirk ein Fürsorgebedürfnis auftritt (§ 344 Abs. 4 FamFG). Für die Frage, ob ein Fürsorgebedürfnis besteht, kommt es auf das Interesse des endgültigen Erben an der Sicherung und Erhaltung des Nachlasses an.
Rz. 155
Zur Sicherung des Nachlasses kann das Nachlassgericht grundsätzlich alle Maßnahmen treffen, die es für erforderlich hält. § 1960 Abs. 2 BGB nennt (nicht abschließend) als Sicherungsmaßnahmen insbesondere: die Anlegung von Siegeln an Räumen und Behältnissen, die Hinterlegung von Geld, Wertpapieren und Kostbarkeiten sowie die Aufnahme eines Nachlassverzeichnisses und die Anordnung einer Nachlasspflegschaft (siehe dazu Rdn 156 ff.).
b) Nachlasspflegschaft
Rz. 156
Ein wichtiges Mittel zur Sicherung des Nachlasses ist die Anordnung der Nachlasspflegschaft. Die Nachlasspflegschaft ist ein Unterfall der Pflegschaft i.S.d. §§ 1909 ff. BGB, auf die nach § 1915 Abs. 1 BGB die Vorschriften über die Vormundschaft (§§ 1773 ff. BGB) entsprechend anzuwenden sind. Allerdings ist bei der Nachlasspflegschaft statt des Vormundschaftsgerichts stets das Nachlassgericht zuständig.
Rz. 157
Zweck der Nachlasspflegschaft ist die Ermittlung des unbekannten Erben und die Sicherung und Erhaltung des Nachlasses, aber grundsätzlich nicht die Befriedigung der Nachlassgläubiger oder die Ausführung des letzten Willens des Erblassers.
Rz. 158
Der Nachlasspfleger ist Vertreter des unbekannten Erben bzgl. aller Nachlassangelegenheiten, wenn das Nachlassgericht den Wirkungskreis nicht entsprechend abweichend definiert. Die Vertretungsmacht des Nachlasspflegers ist nach außen grundsätzlich unbeschränkt und nicht von der Zweckmäßigkeit der Handlungen abhängig. Allerdings bedarf der Nachlasspfleger für bestimmte Rechtsgeschäfte der Genehmigung des Nachlassgerichts (§§ 1915, 1962, 1828–1831 BGB). So kann er insbesondere über Grundstücke bzw. Rechte an Grundstücken nur mit Zustimmung des Nachlassgerichts verfügen. Außerdem gilt für den Nachlasspfleger das Verbot des In-sich-Geschäfts (§§ 1915, 1795, 181 BGB) und das Schenkungsverbot (§ 1804 BGB). Nicht zu den Aufgaben des Nachlasspflegers gehört es ferner, die Auseinandersetzung zu betreiben, die Erbschaft anzunehmen oder auszuschlagen, Nachlassverwaltung zu beantragen, einen Erbschein zu beantragen oder einen Erbteil zu veräußern.
Rz. 159
Die Bestellung eines Nachlasspflegers kann nicht nur zur Sicherung des Nachlasses, sondern auch deswegen erforderlich sein, um es Gläubigern zu ermöglichen, Forderungen gegen den Nachlass durchzusetzen. Insofern kann ein Nachlasspfleger auf Antrag eines Gläubigers bestellt werden, wenn ein Anspruch, der sich gegen den Nachlass richtet, gerichtlich durchgesetzt werden soll (§§ 1961, 1962 BGB). Im Vollstreckungsrecht kommt ferner die Bestellung eines Vollstreckungsvertreters nach § 779 Abs. 2 ZPO in Betracht.
Rz. 160
Von der Bestellung eines Nachlasspflegers für die unbekannten Erben zu unterscheiden ist die Bestellung eines Abwesenheitspflegers für den Fall, d...