Dr. Jens Tersteegen, Prof. Dr. Thomas Reich
1. Ermittlung des steuerpflichtigen Erwerbs
Rz. 231
Die Erbschaftsteuer wird nach dem Wert des steuerpflichtigen Erwerbs bemessen. Dies ist der Wert der Bereicherung des Erwerbers, soweit sie nicht ausdrücklich steuerfrei gestellt ist (§ 10 Abs. 1 ErbStG). Von diesem Wert werden dann die Freibeträge abgezogen und auf den verbleibenden Betrag unter Berücksichtigung der Steuerklassen wird der maßgebliche Steuersatz angewandt, so dass sich die festzusetzende Erbschaftsteuer ergibt.
Rz. 232
Die einzelnen Schritte der Ermittlung der Erbschaftsteuer sind in R E 10.1 ErbStR 2019 schematisch dargestellt. Vereinfacht sieht das Schema zur Ermittlung des steuerpflichtigen Erwerbs wie folgt aus:
|
Vermögensanfall nach Steuerwerten |
./. |
abzugsfähige Nachlassverbindlichkeiten (§ 10 Abs. 3–9 ErbStG) |
./. |
weitere Steuerbefreiungen nach § 13 ErbStG |
= |
Bereicherung des Erwerbers |
./. |
steuerfreier Zugewinnausgleich (§ 5 Abs. 1 ErbStG) |
+ |
Vorerwerbe nach § 14 ErbStG |
./. |
persönlicher Freibetrag nach § 16 ErbStG |
./. |
besonderer Versorgungsfreibetrag (§ 17 ErbStG) |
= |
steuerpflichtiger Erwerb (abgerundet auf volle 100 EUR) |
Rz. 233
Vermögensanfall ist – unabhängig vom Rechtsgrund – alles, was zu einer Bereicherung des Bedachten führt. Dieser Erwerb ist nach den Vorschriften des ErbStG und des BewG zu bewerten. Hierbei werden nach R E 10.1 ErbStR 2019 bereits bestimmte Steuerbefreiungen berücksichtigt.
Rz. 234
Die in den § 10 Abs. 3–9 ErbStG genannten Schulden und Belastungen sind als Nachlassverbindlichkeiten abzuziehen, soweit sie eine wirtschaftliche Belastung darstellen und nicht bereits im Steuergegenstand eines anderen Vermögensgegenstands berücksichtigt sind, wie z.B. Schulden eines Gewerbebetriebs. Da ein Gewerbebetrieb regelmäßig als Ganzes bewertet wird, sind in diesem vorhandene betriebliche Schulden bereits in dessen Bewertung berücksichtigt.
Rz. 235
Der Schuldenabzug ist dann ausgeschlossen oder eingeschränkt, wenn die Schulden mit Vermögensgegenständen im wirtschaftlichen Zusammenhang stehen, deren Erwerb in Deutschland nicht oder nur zum Teil der Besteuerung unterliegen (§ 10 Abs. 6 ErbStG). Dies ist z.B. der Fall, wenn ein Nachlassgegenstand im Ausland belegen ist und sein Erwerb aufgrund eines DBA im Inland nicht der Besteuerung unterliegt oder nach § 13 ErbStG ganz oder teilweise von der Steuer befreit ist. Der EuGH hat jedoch im Jahr 2021 die Nichtabzugsfähigkeit von Pflichtteilen im Falle der beschränkten Steuerpflicht (§ 10 Abs. 6 S. 2 ErbStG) als unionsrechtswidrig beurteilt. Nach dem Jahressteuergesetz 2024 soll durch Änderungen von § 10 Abs. 6 und Abs. 6b ErbStG eine anteilige Abzugsfähigkeit von Nachlassverbindlichkeiten auch in den Fällen der beschränkten Steuerpflicht möglich sein. Maßgeblich für die Abzugsfähigkeit soll der Anteil sein, mit dem der Vermögensanfall der deutschen Erbschaftsteuer unterliegt.
Rz. 236
Vermögensgegenstände, für die der Erwerber lediglich im Rahmen der Wertermittlung nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG (dies ist z.B. Hausrat) einen pauschalen Freibetrag erhält, unterliegen selbst uneingeschränkt der Besteuerung. Der Schuldenabzug wird daher nicht eingeschränkt. Nach der noch nicht rechtskräftigen Entscheidung des FG Niedersachen soll allerdings der Pauschbetrag für Erbfallkosten nach § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG im Fall der beschränkten Steuerpflicht eines Vermächtnisnehmers, abweichend von R E 10.9 Abs. 4 2019, nur anteilig abzugsfähig sein. Schulden, die mit einem nach §§ 13a, 13c ErbStG begünstigten Betriebsvermögen in Zusammenhang stehen, können demgegenüber jedenfalls nach der bisher geltenden Regelung nur in dem Verhältnis abgezogen werden, in dem es zu einer Besteuerung kommt (§ 10 Abs. 6 S. 4 ErbStG).
Rz. 237
Schulden und Lasten werden grundsätzlich mit ihrem Nominalwert abgezogen. Wenn allerdings besondere Umstände wie eine besonders niedrige oder besonders hohe Verzinsung hinzukommen, kann dies einen höheren oder niedrigeren erbschaftsteuerlichen Wert begründen.
2. Bewertung des Vermögens
Rz. 238
Mit seinen Entscheidungen vom 7.11.2006, 17.12.2014 und 10.4.2018 hat das BVerfG frühere Regelungen im Erbschaftsteuer- und im Bewertungsgesetz für verfassungswidrig erklärt. Jegliches Vermögen soll steuerlich (weitgehend) mit dem "gemeinen" Wert ("Verkehrswert") bewertet werden. Mit seinem Urteil vom 10.4.2018 hat das BVerfG dem Gesetzgeber aufgegeben, eine Neuregelung zur bisherigen Einheitsbewertung bis spätestens 31.12.2019 z...