Dr. Jens Tersteegen, Prof. Dr. Thomas Reich
1. Grundsätze
Rz. 112
Gemäß § 2346 Abs. 1 BGB können Verwandte sowie der Ehegatte durch Vertrag mit dem Erblasser auf ihr gesetzliches Erbrecht verzichten. Gemäß § 2346 Abs. 2 BGB kann der Verzicht auch auf das Pflichtteilsrecht beschränkt werden.
Rz. 113
Der Verzichtsvertrag bedarf der persönlichen Mitwirkung des Erblassers (§ 2347 BGB). Während sich der Verzichtende (auch vollmachtlos) vertreten lassen kann, muss der Erblasser persönlich mitwirken. Der Vertrag muss notariell beurkundet werden (§ 2348 BGB). Die Aufhebung eines Erbverzichtsvertrages erfolgt gem. § 2351 BGB durch Aufhebungsvertrag, für den hinsichtlich Form und Vertretungsverbot des Erblassers dieselben Vorschriften gelten wie für den Erbverzichtsvertrag.
2. Erbverzicht
Rz. 114
Der Abschluss des Erbverzichtsvertrages führt dazu, dass der Verzichtende gem. § 2346 Abs. 1 S. 2 BGB so behandelt wird, als ob er zur Zeit des Erbfalls nicht gelebt hätte. Damit entfällt auch sein Pflichtteilsrecht. Der Erbverzicht ändert die gesetzliche Erbfolge und führt u.a. dazu, dass sich die Pflichtteilsquoten der anderen Pflichtteilsberechtigten entsprechend erhöhen. Diese regelmäßig vom Erblasser nicht gewünschte Nebenfolge des Erbverzichts bedingt es, dass der Erbverzicht gegenüber dem Pflichtteilsverzicht kaum Bedeutung hat. In der Praxis wird vielmehr so vorgegangen, dass nur ein Pflichtteilsverzicht abgegeben wird und gleichzeitig der Erblasser in einem Testament eine Enterbung des Verzichtenden vornimmt. Dies führt dann nicht zu einer Änderung der gesetzlichen Erbfolge und damit auch nicht zu einer Erhöhung der Erbquote der übrigen Erben.
3. Pflichtteilsverzicht
Rz. 115
Gemäß § 2346 Abs. 2 BGB kann der Verzicht auch auf den Pflichtteil beschränkt werden. Der vollständige Pflichtteilsverzicht führt dazu, dass dem Verzichtenden beim Erbfall keine Pflichtteilsansprüche zustehen. Dies bezieht sich sowohl auf den Pflichtteilsanspruch nach § 2303 BGB, den Pflichtteilsrestanspruch nach §§ 2305, 2307 BGB, den Pflichtteilsergänzungsanspruch nach §§ 2325 ff. BGB sowie auf die sich aus den §§ 2306, 2318 Abs. 2, 2319 und 2328 BGB ergebenden Rechte. Das gesetzliche Erbrecht des Pflichtteilsberechtigten bleibt jedoch unberührt. Soll auch dieses beseitigt werden, so bedarf es eines Erbverzichts (mit den oben genannten Nachteilen) oder einer ausdrücklichen Enterbung durch den Erblasser.
Rz. 116
Es besteht auch die Möglichkeit, den Pflichtteilsverzicht gegenständlich zu beschränken. Dies hat insbesondere für Übergabeverträge i.R.d. vorweggenommenen Erbfolge Bedeutung. Hier können Pflichtteilsberechtigte nach dem Übergeber (insbesondere die sog. weichenden Geschwister), z.B. hinsichtlich des übergebenen Betriebsvermögens oder Grundbesitzes, einen auf das Übergabeobjekt beschränkten Pflichtteilsverzicht mit dem Übergeber abschließen. Dadurch wird erreicht, dass die weichenden Pflichtteilsberechtigten (i.d.R. die weichenden Geschwister) hinsichtlich des Übergabeobjekts keine Pflichtteilsansprüche geltend machen können. Das Übergabeobjekt bleibt also bei der Pflichtteilsberechnung unberücksichtigt. Möglich ist es auch, einen teilweisen Verzicht auf einzelne sich aus dem Pflichtteilsrecht ergebende Ansprüche (z.B. Pflichtteilsergänzungsansprüche, Pflichtteilsrestansprüche) abzugeben.
4. Zuwendungsverzicht
Rz. 117
Ein Sonderfall des Erbverzichts ist der in § 2352 BGB geregelte Zuwendungsverzicht. Derjenige, der durch Testament als Erbe eingesetzt oder mit einem Vermächtnis bedacht ist, kann durch Vertrag mit dem Erblasser auf die Zuwendung verzichten. Das Gleiche gilt für eine Zuwendung, die in einem Erbvertrag einem Dritten gemacht wird. Besondere Bedeutung erlangt die Vorschrift des § 2352 BGB insbesondere dann, wenn den Erblasser bindende Verfügungen von Todes wegen vorliegen (wechselbezüglich nach § 2270 BGB, siehe Rdn 43; oder vertragsmäßig, siehe Rdn 47). Will der Erblasser hier seine Testierfreiheit wiedererlangen, so kann er dies dadurch erreichen, dass er mit dem Schlusserben einen Zuwendungsverzichtsvertrag schließt. Der Zuwendungsverzicht bewirkt nicht die Aufhebung der betroffenen Verfügung, sondern verhindert lediglich den Anfall der Zuwendung beim Verzichtenden in gleicher Weise wie die Vorversterbensfiktion des § 2346 Abs. 1 S. 2 BGB beim Erbverzicht. Nach der Erbrechtsreform erstreckt sich die Wirkung des Zuwendungsverzichts auch auf die Abkömmlinge des Verzichtenden, soweit es sich bei dem Verzichtenden um einen Abkömmling oder Seitenverwandten des Erblassers handelte (§§ 2352 S. 3, 2349 BGB).