Nina Lenz-Brendel, Julia Roglmeier
In der Vergangenheit war streitig, ob mit Hilfe einer Patientenverfügung sichergestellt werden kann, dass ein Patient nicht künstlich am Leben gehalten wird. Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa, die im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) durchgeführt wurde, befürworteten 73 % der Bundesbürger eine Patientenverfügung, die unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung gilt, sobald ein Patient sich nicht mehr selbst zu einer anstehenden medizinischen Behandlung äußern kann.
Von Ärzten und Vertretern der Hospizbewegung wird die seit 2009 gesetzlich geregelte Reichweite der Patientenverfügung begrüßt, da aus ärztlicher Sicht nie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gesagt werden könne, ob eine Krankheit einen unumkehrbaren tödlichen Verlauf nehme. Prof. Dr. Gian Domenico Borasio, Inhaber des Lehrstuhls für Palliativmedizin am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität in München, führt hierzu wörtlich aus:
"Das Konzept des 'unumkehrbar tödlichen Verlaufs' ist in der Praxis de facto nicht anwendbar, denn unumkehrbar tödlich verläuft das Leben an sich."
Eine Reichweitenbegrenzung der Patientenverfügung hätte nach Auffassung der Ärzteschaft dazu geführt, dass leidenden Menschen ein würdiges Sterben nach ihrem Willen vorenthalten worden wäre. Hingegen wird die fehlende Reichweitenbegrenzung insbesondere von Vertretern der Kirchen kritisiert, die einen Durchbruch zur Tötung "unwerten Lebens" befürchten, wenn auch Wachkoma-Patienten und schwer Demente auf eigenen Wunsch sterben sollen. Nach Auffassung der Kirchen dürfen Wünsche und Entscheidungen einer Patientenverfügung nicht einfach als das letzte Wort eines Patienten angenommen werden, denn es sei nicht auszuschließen, dass die Festlegung in Unkenntnis der Möglichkeiten medizinischer Behandlung oder einer späteren medizinischen Entwicklung erfolgt sei.
Trotz aller Kritik unterliegt die Patientenverfügung nach den Neuregelungen nun keiner Reichweitenbegrenzung mehr mit der Folge, dass die Wirksamkeit einer Patientenverfügung mit Willensäußerungen zum Verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen nicht mehr davon abhängt, dass bei dem Patienten ein irreversibler Verlauf des Grundleidens vorliegt und dieses Grundleiden trotz medizinischer Behandlung nach ärztlicher Erkenntnis zum Tode führen wird. Eine infauste Prognose ist für einen Behandlungsabbruch oder das Unterlassen einer Behandlung nicht länger erforderlich. Die Patientenverfügung ist vielmehr in jedem Krankheitsstadium zu beachten.
1.3.1.1 Beachtung in jedem Krankheitsstadium
In § 1827 Abs. 3 BGB wird klargestellt, dass es für die Beachtung und Durchsetzung des Patientenwillens nicht auf Art und Stadium der Erkrankung ankommt. Dem Patienten soll das Recht, Behandlungen abzulehnen, auch für Krankheiten zustehen, für deren Ausbrechen noch keinerlei Symptome vorhanden sind. das betrifft vor allem Koma und Demenz.
Nach Auffassung des Gesetzgebers ist es Ausfluss des verfassungsrechtlich verbürgten Selbstbestimmungsrechts eines jeden Menschen, eine Entscheidung betreffend die Durchführung oder das Unterlassen ärztlicher Behandlungsmaßnahmen auch im Voraus für den Fall seiner Entscheidungsunfähigkeit zu treffen und von seinem Vertreter die Durchsetzung seines Willens erwarten zu können, auch wenn der Sterbeprozess noch nicht eingesetzt hat.
Nach der Entscheidung des BGH (BGH, Urteil v. 13.9.1994, 1 StR 357/94; BGHSt 40, 257) ist der Wille des Patienten für die Beurteilung der Zulässigkeit einer ärztlichen Behandlung oder Maßnahme auch dann maßgebend, wenn der Sterbevorgang noch nicht eingesetzt hat. Der Abbruch einer lebenserhaltenden Maßnahme ist danach bei entsprechendem Patientenwillen als Ausdruck der allgemeinen Entscheidungsfreiheit und des Rechts auf körperliche Unversehrtheit grundsätzlich zulässig. Der BGH hat nach Auffassung des Gesetzgebers zumindest mittelbar zu erkennen gegeben, dass das Recht des Patienten, Behandlungen abzulehnen, nicht vom Stadium seiner Erkrankung abhängt. Der BGH führt am angegebenen Ort wörtlich aus:
"Die mit Hilfe einer Magensonde durchgeführte künstliche Ernährung ist ein Eingriff in die körperliche Integrität, der deshalb der Einwilligung des Patienten bedarf (vgl. Senatsbeschluss BGH, v. 17.3.2003, XII ZB 2/03; BGHZ 154, 205 = FamRZ 2003, 748, 750). Eine gegen den erklärten Willen des Patienten durchgeführte künstliche Ernährung ist folglich eine rechtswidrige Handlung, deren Unterlassung der Patient analog § 1004 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 823 Abs. 1 BGB verlangen kann. Dies gilt auch dann, wenn die begehrte Unterlassung – wie hier – zum Tode des Patienten führen würde. Das Recht des Patienten zur Bestimmung über seinen Körper macht Zwangsbehandlungen, auch wenn sie lebenserhaltend wirken, unzulässig (Senatsbeschluss a. a. O. 751)."
Auch aus dem verfassungsrechtlich geschützten Selbstbestimmungsrecht des Menschen folgt, dass weder Krankheit noch der ärztliche Heilauftrag ein eigenständiges Behandlungsrecht des Arztes begründen. Ein ärztlicher Eingriff ist r...