Nina Lenz-Brendel, Julia Roglmeier
3.1 Genehmigung der Einwilligung des Betreuers, § 1829 Abs. 1 BGB
Nach der Rechtsprechung des BGH sind medizinische Behandlungen gegen den natürlichen Willen eines einwilligungsunfähigen Betreuten unzulässig. Der Betreuer darf daher den Betreuten einer ambulanten Behandlung nicht zuführen, wenn dieser sich widersetzt. Auf die Gründe, die den Betreuten hierzu bewegten, und auch auf seine Einsichtsfähigkeit kommt es nicht an.
Voraussetzung für die Befugnis des Betreuers, für den Betreuten eine Einwilligungserklärung abzugeben, ist einerseits, dass der Betreute einwilligungsunfähig ist und andererseits die beabsichtigte ärztliche Maßnahme in den Aufgabenkreis des Betreuers fällt. Hierfür ist nicht erforderlich, dass die beabsichtigte Maßnahme in der Bestallungsurkunde konkret genannt ist. Vielmehr ist der Betreuer zu einer Einwilligung für den Betreuten grundsätzlich befugt, wenn ihm der Aufgabenbereich der Gesundheitsfürsorge übertragen wurde oder sich die Betreuung auf Heilbehandlungen des Betreuten erstreckt.
Wurde dem Betreuer der Aufgabenbereich der Gesundheitsfürsorge übertragen, so wird die Einwilligungsunfähigkeit des Betreuten grundsätzlich vermutet. Diese Vermutung kann jedoch widerlegt werden.
Sofern im Einzelfall konkrete Anhaltspunkte für eine Einwilligungsfähigkeit des Betreuten vorliegen, muss das Gericht die Frage der Einwilligungsfähigkeit des Betreuten durch Einholung eines Sachverständigengutachtens abklären.
3.1.1 Ärztliche Maßnahmen
Unter den Oberbegriff der ärztlichen Maßnahmen fallen Untersuchungen des Gesundheitszustandes, Heilbehandlungen und ärztliche Eingriffe.
Untersuchungen des Gesundheitszustandes
Eine Untersuchung des Gesundheitszustandes ist jedes diagnostische oder anamnestische Verfahren, unabhängig davon, ob es mit einer körperlichen Untersuchung oder einem körperlichen Eingriff verbunden ist oder nicht, wie zum Beispiel eine Endoskopie (Ausleuchten und Inspektion von Körperhohlräumen und Hohlorganen mit Hilfe eines röhren- oder schlauchartigen Instruments), eine Katheterisierung (Einführen eines röhren- oder schlauchartigen Instruments in Hohlorgane oder Gefäße, um Inhalte zu entnehmen oder abzulassen bzw. Substanzen einzubringen), eine Lumbalpunktion (Verfahren zur Gewinnung von Gehirn-Rückenmark- Flüssigkeit – liquor cerebrospinalis – mittels einer Hohlnadel), eine Subokzipitalpunktion (Punktion unterhalb des Hinterkopfes zur Gewinnung des liquor cerebrospinalis) oder eine Ventrikelpunktion (Punktion der Hirnkammern zur Druckentlastung).
Heilbehandlung
Unter einer Heilbehandlung versteht man Maßnahmen jeglicher Art, die auf Herstellung der Gesundheit, Linderung der Krankheit, Beseitigung oder Linderung von Krankheitsfolgen sowie Verhütung von Krankheiten oder ihrer Verschlimmerung gerichtet sind. Hierunter fallen im Bereich der operativen Behandlungsmaßnahmen z. B. Herzoperationen, Transplantationen, neurochirurgische Operationen, gefäßchirurgische Eingriffe sowie Operationen am offenen Thorax und Amputationen.
Im nichtoperativen Bereich zählen hierzu beispielsweise die Durchführung einer Elektrokrampftherapie (EKT), einer Chemotherapie, Strahlenbehandlungen sowie die Behandlung mit bestimmten Medikamenten, mit deren Gabe das Risiko erheblicher Nebenwirkungen verbunden ist (z. B. Dipidolor, Glianimon, Morphin Merck oder Ritalin).
Ärztliche Eingriffe
Unter einem ärztlichen Eingriff versteht man jede Maßnahme, die die körperliche Unversehrtheit verletzt, ohne dass damit eine medizinisch indizierte Untersuchung oder Heilbehandlung verbunden ist. Als ärztliche Eingriffe bezeichnet man Maßnahmen, die keinem kurativen Zweck dienen. Hierunter fällt z. B. die Anlage einer PEG-Sonde zur Ernährung (Percutane endoskopisch kontrollierte Gastrostomie), aber auch vorbeugende Maßnahmen wie z. B. Impfungen. Daneben gehören hierzu so unterschiedliche Maßnahmen wie Blut- und Organspenden, aber auch kosmetische Operationen.
3.1.2 Begründete Gefahr einer schweren Folge
Eine Genehmigungspflicht hinsichtlich der jeweils durchzuführenden ärztlichen Maßnahme besteht regemäßig nur dann, wenn die begründete Gefahr des Todes oder eines schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schadens besteht. Es muss die ernste und konkrete Erwartung vorliegen, dass die näher bezeichneten Folgen eintreten werden.
Die schwere Folge liegt neben dem Todeseintritt des Betreuten in einem schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden. Unter einem schweren Schaden versteht man sowohl körperliche Schäden als auch in ihrer Wirkung einschneidende psychische Veränderungen. Beispiele: Verlust eines Körpergliedes, Verlust des Sehvermögens auf einem oder beiden Augen, Verlust der Sprache, des Gehörs oder der Zeugungsfähigkeit. Auch Auswirkungen einer ärztlichen Maßnahme, die die alltägliche Lebensführung des Betreuten im Vergleich zum gesunden Menschen erheblich...