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Wie jeder nationale Erbschein entfaltet auch das Europäische Nachlasszeugnis bestimmte Wirkungen. So darf grundsätzlich von der Richtigkeit des Inhalts des ENZ ausgegangen werden, wobei hierbei zwischen positiven und negativen Vermutungen unterschieden werden muss.

Positiv wird gemäß Art. 69 Abs. 2 Satz 2 EuErbVO vermutet, dass die Person, die im Zeugnis als Erbe, Vermächtnisnehmer, Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter genannt ist, auch die in dem Zeugnis genannte Rechtsstellung und/oder die in dem Zeugnis aufgeführten Rechte oder Befugnisse hat. Die Angabe einzelner Nachlassgegenstände im ENZ kommt nach herrschender Meinung nicht in Betracht.[1]

Negativ wird vermutet, dass die im ENZ genannten Rechte oder Befugnisse keinen anderen als den im Zeugnis aufgeführten Bedingungen und/oder Beschränkungen unterliegen.

Die Vermutungswirkungen entfallen konsequenterweise mit Ablauf der auf dem ENZ angegebenen Gültigkeitsfrist. Durch eine Aussetzung der Wirkungen des ENZ, eine Berichtigung, eine Änderung oder einen Widerruf des ENZ kann die Vermutungswirkung auch vor Fristablauf entzogen werden.

Dem ENZ kommt grundsätzlich öffentlicher Glaube zu. Hierbei gilt es zu beachten, dass der Gutglaubensschutz des ENZ nach der Literatur weitergehender sein soll als derjenige nach deutschem Recht. So soll sich dieser auch auf das Amt sowie die Befugnisse des Testamentsvollstreckers erstrecken.

Neben positiver Kenntnis des Nachlassgläubigers von der Unrichtigkeit des ENZ schadet auch grob fahrlässige Unkenntnis. Zudem wird die Vermutung der Richtigkeit des ENZ nach Art. 69 EuErbVO widerlegt, wenn sich im Grundbuchverfahren ergibt, dass ein dinglicher Übergang des Eigentums an einem Nachlassgegenstand erst mit Abschluss einer Auseinandersetzungsvereinbarung und nicht schon mit dem Tod des Erblassers erfolgte.[2]

Angesichts des sehr eindeutigen Wortlauts des Art. 69 Abs. 3 und 4 BGB, wonach eine Leistung oder Veräußerung "auf Grundlage der in dem Zeugnis enthaltenen Angaben" erfolgt, dürfte es stets erforderlich sein, dass das ENZ dem Gegenüber tatsächlich vorgelegt wird.

Im Übrigen ist der Gutglaubensschutz vergleichbar mit demjenigen des deutschen Rechts (vgl. §§ 2366, 2367 BGB).

[1] Vgl. u. a. OLG München, Beschluss v. 12.9.2017, 31 Wx 275/17; OLG Nürnberg, Beschluss v. 5.4.2017, 15 Wx 299/17; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 14.10.2020, I-3 Wx 158/20.
[2] Vgl. OLG München, Beschluss v. 29.9.2020, 34 Wx 236/20.

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