Das Wichtigste in Kürze:

1. § 47 ist zentraler Ausdruck des das Ordnungswidrigkeitenrecht dominierenden Opportunitätsgrundsatzes. Für auf ihm beruhende Verfahrenseinstellungen bedarf es eines Rückgriffs auf die §§ 153 ff. und 154 ff. StPO nicht.
2. Eine Einstellung gegen Geldauflage ist unzulässig.
3. Die Ausübung des Opportunitätsermessens ist weit, jedoch nicht frei. Neben den u.a. aus dem Willkürverbot und dem Gleichheitssatz folgenden allgemeinen Schranken sind gerade bei der Verfolgung von massenhaft im Straßenverkehr begangenen Ordnungswidrigkeiten die vorhandenen gesetzlichen Vorbewertungen zu beachten.
4. Eine Gleichheit im Unrecht und einen hieraus abgeleiteten Anspruch auf Nichtverfolgung gibt es auch im Verkehrsordnungswidrigkeitenrecht nicht.
5. Als spezielle Opportunitätskriterien für eine Verfahrenseinstellung nach § 47 kommen bei der Verfolgung von Verkehrsordnungswidrigkeiten eine Vielzahl tat- und täterbezogener Gründe in Betracht.
6. Das Opportunitätsprinzip erlaubt Beschränkungen des Verfolgungsumfangs in weitem Umfang.
 

Rdn 1019

 

Literaturhinweise:

Berz, Rechtskraft und Sperrwirkung im Ordnungswidrigkeitenrecht, 1971

Deutscher, Zur beabsichtigten Erhöhung der Bußgelder bei Verkehrsordnungswidrigkeiten, VRR 2007, 12

Erb, Legalität und Opportunität, 1999

Gutt/Krenberger, Gestaltungsspielräume bei § 47 OWiG, zfs 2013, 549

Herde, Die Entscheidung über die notwendigen Auslagen des Betroffenen bei der Einstellung eines Bußgeldverfahrens nach § 47 Abs. 2 OWiG, DAR 1984, 305

ders., Die richterliche Verfahrenseinstellung in Bußgeldsachen nach § 47 Abs. 2 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, DAR 1984, 134

Krumm, "Kann man das nicht einfach einstellen?" – Die Einstellung nach § 47 OWiG im Verkehrsrecht, NZV 2021, 605

ders., Die Rechtsprechung zur Einstellung nach § 47 OWiG seit 2010, SVR 2020, 372

Kruse, Wann und wie sollten Ordnungswidrigkeiten im Verkehr unbedingt verfolgt werden?, DAR 1978, 179

Pasker, Die Auslagenentscheidung nach Einstellung des Bußgeldverfahrens durch die Staatsanwaltschaft und einige Probleme aus der Praxis, MDR 1986, 195

Schmidt, Verfahrenseinstellungen beim Zusammentreffen von Straftat und Ordnungswidrigkeit, wistra 1998, 211

Schulz, Die Einstellung nach § 47 OWiG bei Verkehrsordnungswidrigkeiten, StraFo 1999, 114

ders., Die Einstellung nach § 47 OWiG als Rechtsbeugung, NJW 1999, 3471.

 

Rdn 1020

1. Im Unterschied zum Strafverfahren mit seinem die StA verpflichtenden Legalitätsprinzip (§ 152 Abs. 2 StPO) ist die Ausgangslage im OWi-Recht eine grundlegend andere: Denn hier "liegt", wie § 47 Abs. 1 S. 1 ausdrücklich formuliert, schon "die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten im pflichtgemäßen Ermessen der Verfolgungsbehörde". Wie selbstverständlich schließt sich in § 47 Abs. 1 S. 2 die lapidare Feststellung an: "Solange das Verfahren bei ihr anhängig ist, kann sie es einstellen". Demgemäß wird § 47 einhellig als zentraler Ausdruck des das OWi-Recht dominierenden Opportunitätsprinzips gewertet. Nach zutreffender Ansicht bedarf es deshalb keines – an sich über § 46 Abs. 1 denkbaren – Rückgriffs auf strafprozessuale Regeln, insbesondere eine entsprechende Anwendung der §§ 153 ff. und 154 ff. StPO, aber auch der §§ 45, 47 JGG im Verfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende (KK/Mitsch, § 47 Rn 74 ff.; BeckOK OWiG/A. Bücherl, § 47 Rn 1 ff.; Göhler/Seitz/Bauer, § 47 Rn 1; 27; Krenberger/Krumm, § 47 Rn 1; Krause/Prieß NStZ 2013, 688, 692). Denn es geht im Bußgeldrecht nicht um die Verfolgung und Ahndung von mit Strafe bedrohten kriminellen Unrechts, welche eine konstante Verfolgung und Tatahndung aufgrund ihres Unrechtsgehalts regelmäßig erfordern, mag auch die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten geradezu zum "Kernbereich staatlicher Hoheitsausübung" zählen (OLG Stuttgart DV 2016, 296 = Justiz 2016, 453). Jedenfalls prinzipiell erlaubt das Opportunitätsprinzip vielmehr eine an bestimmte Regelungsmaterien und lokalen Besonderheiten nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten ausgerichtete Flexibilität der vornehmlich auf Prävention abzielenden Verfolgungsdichte, die es z.B. bei der Verfolgung von Verkehrsordnungswidrigkeiten der Verwaltungsbehörde auch gestattet, sich technischer Hilfe durch Privatpersonen bzw. private Dienstleister jedenfalls so lange zu bedienen, als sie "Herrin des Verfahrens" bleibt. (OLG Stuttgart a.a.O.). Verfolgungswille und -dichte sind auch in räumlicher und zeitlicher Hinsicht erheblichen Schwankungen unterworfen, und zwar sowohl für die Frage, ob überhaupt bestimmte Ordnungswidrigkeiten verfolgt werden sollen, als auch für die Frage, wie, d.h. um welchen Preis, namentlich mit welchem Ermittlungs- oder Aufklärungsaufwand und überdies in welchem Umfang Verfolgungsaktivitäten entwickelt werden sollen. Mietet die Kommune Verkehrsüberwachungsgeräte, kann der Vertragspartner keine Schadensersatzansprüche daraus herleiten, dass die Kommune das Messgerät in zeitlichem Umfang nicht nach der vertraglichen Vereinbarung in Anspruch nimmt: Eine solche Vertragsklausel wäre nach §...

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