Detlef Burhoff, Annika Hirsch
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
§ 257b soll einen transparenten Verfahrensstil in der HV fördern. |
2. |
Die Erörterung steht im Ermessen des Gerichts. |
3. |
§ 257b richtet sich an das Gericht. |
4. |
Die Erörterungen werden mit den Verfahrensbeteiligten geführt. |
5. |
Inhaltlich haben sich die Erörterungen nach § 257b am Sinn und Zweck der Neuregelung auszurichten. |
6. |
Das Gericht wird sich i.d.R. durch die Bekanntgabe seiner Einschätzung des Verfahrensstandes nicht dem Vorwurf der Befangenheit aussetzen. |
7. |
Während für Erörterungen des Standes des Verfahrens in der HV die Vorschrift des § 257b gilt, ist für Erörterungen nach Beginn, aber außerhalb der HV die Vorschrift des § 212 anzuwenden. |
Rdn 1890
Literaturhinweise:
Abraham, Im Vorhof der Verständigung: Zur Notwendigkeit gerichtliche Kommentierung von Binnenzusagen der Staatsanwaltschaft, StV 2021, 609
Bittmann, Rechtsprechung zum Verständigungsgesetz 2022/23, ZWH 2024, 209
Duda/Schubert, Die Stellung der Finanzbehörde im gerichtlichen Verfahren, NWB 22/2020, S. 1624
Feichtlbauer, Verständigung als Fremdkörper im deutschen Strafprozess? eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung des „fair-trial-Grundsatzes, 2021; Isfen, Die Befangenheit des "dealenden" Richters, ZStW 2013, 325; Salditt, Das neue Zwischenverfahren und die Unparteilichkeit des Richters, in: Festgabe für Imme Roxin, S. 687; s.a. die Hinw. bei → Absprachen/Verständigung, Verfahren, Allgemeines, Teil A Rdn 263.
Rdn 1891
1.a) Das Verständigungsgesetz (BT-Drucks 16/12310) hat 2009 für das EV die §§ 160b, 202a eingeführt, die die für das Verständigungsverfahren geforderte Transparenz unterstützen sollen (zum EV Burhoff, EV, Rn 2400 ff.). Diese Vorschriften finden für die HV ihr Gegenstück in § 257b. Er soll den Gedanken eines transparenten und kommunikativen Verfahrensstils in der HV einbringen und fördern (BT-Drucks 16/12310, S. 12; BVerfG NJW 2013, 1058, 1065 ff.). Die Vorschrift hat das Ziel – ebenso wie § 160b im EV – die Gesprächsmöglichkeiten zwischen den Verfahrensbeteiligten zu fördern und einen "offeneren Verhandlungsstil" zu unterstützen. Nach § 257b kann daher das Gericht in der HV den Stand des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten (dazu Teil E Rdn 1897 f.) erörtern, soweit dies geeignet erscheint, das Verfahren zu fördern (dazu Teil E Rdn 1900 ff.). Soll nach Beginn der HV, aber außerhalb der HV eine Erörterung des Verfahrens stattfinden, richtet sich das nach § 212 (dazu Teil E Rdn 1906). Von einer Erörterung des Standes des Verfahrens (zum Begriff der Erörterung → Absprachen/Verständigung, Begriffe/Grundsätze, Teil A Rdn 207) ist ein/das → Abstimmungsgespräch in umfangreichen Verfahren, Teil A Rdn 330, zu unterscheiden.
Rdn 1892
b) Über die Sinnhaftigkeit der Regelung des § 257b kann man trefflich streiten (sehr krit. zur gesamten (Neu)Regelung der Verständigung Fischer StraFo 2009, 177 ff.; krit. a. Jahn/Müller NJW 2009, 2625, 2627). Denn auch in der Vergangenheit hatten schon viele Gerichte, wenn es möglich, aber ggf. auch erforderlich war, einen kommunikativen Verhandlungsstil gepflegt. Es werden nun genau diejenigen (souveränen) Richter sein, die von § 257b Gebrauch machen, die auch schon früher einen "offenen Verhandlungsstil" gehandhabt haben. Ob "die anderen Richter" sich von der Neuregelung und dem dahinter stehenden Gedanken beeindrucken oder beeinflussen lassen, erscheint fraglich.
Rdn 1893
2.a) Die Erörterung des Standes des Verfahrens steht im Ermessen des Gerichts. § 257b formuliert ausdrücklich mit "kann" (Jahn/Müller NJW 2009, 2625, 262; N/Sch/W/Schlothauer, § 202a Rn 13; KK/Schneider, § 202a Rn 4 ff.). Ob der Stand des Verfahrens erörtert wird/werden soll oder nicht, richtet sich m.E. danach, ob solche Erörterungen geeignet erscheinen, das Verfahren überhaupt zu fördern. Lässt sich das nicht erreichen, brauchen/können auch keine Erörterungen durchgeführt werden (N/Sch/W/Schlothauer, § 202a Rn 10 ff.). Als geeignete Verfahren wird man insbesondere solche mit (besonders) schwierigen und langwierigen Beweiserhebungen ansehen können, aber auch diejenigen, in denen ggf. das Nachtatverhalten des Angeklagten noch eine Rolle spielen könnte (→ Absprachen/Verständigung, geeignete Fälle, Teil A Rdn 225 ff.). Bei der Ausübung des Ermessens wird immer auch der Gleichbehandlungsgrundsatz zu berücksichtigen sein (s.a. Feichtlbauer, a.a.O.)
☆ Der Verteidiger sollte, wenn das Gericht Erörterungen zur Vorbereitung einer Verständigung i.S. des § 257c vorschlägt, beantragen, wegen der Schwierigkeit der Sach- und/oder Rechtslage als Pflichtverteidiger beigeordnet zu werden (dazu KK/ Schneider , § 202a Rn 10; s.a. OLG Naumburg (NStZ 2014, 116 m. zust. Anm. Burhoff StRR 2014, 70 [i.d.R. ein Fall der notwendigen Verteidigung ]; a.A. OLG Bamberg NStZ 2015, 184 m. Anm. Burhoff StRR 2015, 102; Wenske NStZ 2014, 117 in der Anm. zu OLG Naumburg, a.a.O.; Meyer-Goßner/Schmitt , § 257c Rn 24; eingehend Ruhs NStZ 2016, 706).Schneider, § 202a Rn 10; s.a. OLG Naumburg (NStZ 2014, 116 m. zust. Anm. Burhoff StR...