Detlef Burhoff, Frédéric Schneider
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
§ 257b soll einen transparenten Verfahrensstil in der HV fördern. |
2. |
Die Erörterung steht im Ermessen des Gerichts. |
3. |
§ 257b richtet sich an das Gericht. |
4. |
Die Erörterungen werden mit den Verfahrensbeteiligten geführt. |
5. |
Inhaltlich haben sich die Erörterungen nach § 257b am Sinn und Zweck der Neuregelung auszurichten. |
6. |
Das Gericht wird sich i.d.R. durch die Bekanntgabe seiner Einschätzung des Verfahrensstandes nicht dem Vorwurf der Befangenheit aussetzen. |
7. |
Während für Erörterungen des Standes des Verfahrens in der HV die Vorschrift des § 257b gilt, ist für Erörterungen nach Beginn, aber außerhalb der HV die Vorschrift des § 212 anzuwenden. |
Rdn 1828
Literaturhinweise:
Isfen, Die Befangenheit des "dealenden" Richters, ZStW 2013, 325
Salditt, Das neue Zwischenverfahren und die Unparteilichkeit des Richters, in: Festgabe für Imme Roxin, S. 687
s.a. die Hinw. bei → Absprachen/Verständigung, Verfahren, Allgemeines, Teil A Rdn 257.
Rdn 1829
1.a) Das Verständigungsgesetz (vgl. BT-Drucks 16/12310) hat 2009 für das EV die §§ 160b, 202a eingeführt, die die für das Verständigungsverfahren geforderte Transparenz unterstützen sollen (zum EV Burhoff, EV, Rn 2365 ff.). Diese Vorschriften finden für die HV ihr Gegenstück in § 257b. Er soll den Gedanken eines transparenten und kommunikativen Verfahrensstils in der HV einbringen und fördern (BT-Drucks 16/12310, S. 12; BVerfG NJW 2013, 1058, 1065 ff.). Die Vorschrift hat das Ziel – ebenso wie § 160b im EV – die Gesprächsmöglichkeiten zwischen den Verfahrensbeteiligten zu fördern und einen "offeneren Verhandlungsstil" zu unterstützen. Nach § 257b kann daher das Gericht in der HV den Stand des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten (dazu Teil E Rdn 1835 f.) erörtern, soweit dies geeignet erscheint, das Verfahren zu fördern (dazu Teil E Rdn 1838 ff.). Soll nach Beginn der HV, aber außerhalb der HV eine Erörterung des Verfahrens stattfinden, richtet sich das nach § 212 (dazu Teil E Rdn 1844). Von einer Erörterung des Standes des Verfahrens (zum Begriff der Erörterung → Absprachen/Verständigung, Begriffe/Grundsätze, Teil A Rdn 202) ist ein/das → Abstimmungsgespräch in umfangreichen Verfahren, Teil A Rdn 323, zu unterscheiden.
Rdn 1830
b) Über die Sinnhaftigkeit der Regelung des § 257b kann man trefflich streiten (sehr krit. zur gesamten (Neu)Regelung der Verständigung Fischer StraFo 2009, 177 ff.; krit. a. Jahn/Müller NJW 2009, 2625, 2627). Denn auch in der Vergangenheit hatten schon viele Gerichte, wenn es möglich, aber ggf. auch erforderlich war, einen kommunikativen Verhandlungsstil gepflegt. Es werden nun genau diejenigen (souveränen) Richter sein, die von § 257b Gebrauch machen, die auch schon früher einen "offenen Verhandlungsstil" gehandhabt haben. Ob "die anderen Richter" sich von der Neuregelung und dem dahinter stehenden Gedanken beeindrucken oder beeinflussen lassen, erscheint fraglich.
Rdn 1831
2.a) Die Erörterung des Standes des Verfahrens steht im Ermessen des Gerichts. § 257b formuliert ausdrücklich mit "kann" (Jahn/Müller NJW 2009, 2625, 262; N/Sch/W/Schlothauer, § 202a Rn 13). Ob der Stand des Verfahrens erörtert wird/werden soll oder nicht, richtet sich m.E. danach, ob solche Erörterungen geeignet erscheinen, das Verfahren überhaupt zu fördern. Lässt sich das nicht erreichen, brauchen/können auch keine Erörterungen durchgeführt werden (N/Sch/W/Schlothauer, § 202a Rn 10 ff.). Als geeignete Verfahren wird man insbesondere solche mit (besonders) schwierigen und langwierigen Beweiserhebungen ansehen können, aber auch diejenigen, in denen ggf. das Nachtatverhalten des Angeklagten noch eine Rolle spielen könnte (→ Absprachen/Verständigung, geeignete Fälle, Teil A Rdn 220 ff.).
Rdn 1832
Der Verteidiger hat aufgrund der Ausgestaltung der Vorschrift als Ermessenregelung keinen Anspruch auf Erörterung (Meyer-Goßner/Schmitt, § 160b Rn 1). Ebenso wie es kein Recht auf Verständigung gibt (BGH NStZ 2015, 537), gibt es kein Recht auf Erörterung. Allerdings sollte er das Gericht ggf. durch entsprechende Angebote/Anträge/Anregungen auf den Gedanken "eines transparenten Verfahrensstils" (BT-Drucks 16/12310, S. 13) hinweisen. Er muss jedoch damit rechnen, dass insoweit auf die (frühere) Rspr. des BGH verwiesen werden wird, wonach der Angeklagte weder einen Anspruch auf einen "Zwischenbescheid" hat (BGH NStZ 2007, 719; zust. BVerfG HRRS 2009 Nr. 467) noch das Gericht verpflichtet ist, seine Sicht der Dinge offenzulegen (BGHSt 43, 212; BGH NStZ 2009, 468; → Erklärungen des Verteidigers, Allgemeines, Teil E Rdn 1772; → Zwischenberatungen des Gerichts, Teil Z Rdn 4359). Allerdings ist dem entgegenzuhalten, dass der Gesetzgeber zwar keinen Anspruch des Angeklagten/Verteidigers auf die Darlegung eines Zwischenstandes normiert hat, die gesetzliche Regelung aber deutlich einen "offeneren Verhandlungsstil" bevorzugt. Hinzukommt, dass schon der BGH in BGHSt 43, 212 die Möglichkeit eines offenen Rechtsgesprächs, was i.Ü. in der Praxis nicht selten geführt wird...