Die in der Praxis bedeutendste Frage im Rahmen der Bedürftigkeit ist die nach der Erwerbsobliegenheit des unterhaltsberechtigten Ehegatten. Nach Auffassung der Rechtsprechung ist die Frage der Erwerbsobliegenheit des berechtigten Ehegatten in dem Zeitraum unmittelbar nach der Trennung auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass eine Versöhnung der Ehegatten nicht ausgeschlossen ist, zu bewerten. Daraus leitet die Rechtsprechung ab, dass in der Regel im ersten Trennungsjahr keine Obliegenheit besteht, eine neue Erwerbstätigkeit zu beginnen oder eine bereits während bestehender Ehe ausgeübte Teilerwerbstätigkeit auszudehnen (vergleiche Ziffer 17.2. der Leitlinien der meisten Oberlandesgerichte). Der zeitliche Beginn einer Erwerbsobliegenheit ist allerdings nach den Umständen des Einzelfalls zu bestimmen.
Im Einzelfall kann eine Erwerbsobliegenheit bereits vor Ablauf des Trennungsjahres einsetzen. War der Trennungsunterhalt begehrende Ehegatte etwa während des ehelichen Zusammenlebens (weitgehend) erwerbstätig, sodass keine klassische sog. Haushaltsführungsehe vorlag, kann er auch bei zum Zeitpunkt der Trennung bestehender Erwerbslosigkeit bereits mit der Trennung zur Aufnahme bzw. Fortsetzung seiner Erwerbsbemühungen verpflichtet sein. Das gilt insbesondere bei einem recht kurzen Zeitraum zwischen Eheschließung und Trennung.
Das Verhalten des Unterhaltspflichtigen während der Trennungszeit kann Auswirkungen auf die Erwerbsobliegenheiten des Berechtigten haben. So können widerspruchslose Zahlungen während einer langen Trennungszeit unterhaltsrechtlich einen Vertrauenstatbestand schaffen, der den Zeitpunkt für eine Erwerbsobliegenheit des Unterhaltsberechtigten zeitlich nach hinten verlegt.
4.3.1.1 Bei Betreuung gemeinschaftlicher Kinder
Betreut der berechtigte Ehegatte gemeinsame Kinder,
gelten grundsätzlich die strengeren Maßstäbe des § 1570 BGB auch bei der Beurteilung der Erwerbsobliegenheit im Rahmen des Trennungsunterhalts.
4.3.1.2 Bei Betreuung nicht gemeinschaftlicher Kinder
Auch die Betreuung eines nicht gemeinschaftlichen Kindes kann im Rahmen des Trennungsunterhalts zu einer Einschränkung der Erwerbsobliegenheit führen – im Gegensatz zu dem nachehelichen Unterhalt. Betreut ein getrennt lebender Ehegatte ein Pflegekind, welches die Eheleute vor ihrer Trennung gemeinsam aufgenommen hatten, kann diese Betreuung zu den persönlichen Verhältnissen des Ehegatten gerechnet werden, von denen nach § 1361 Abs. 2 BGB abhängt, ob er darauf verwiesen werden kann, seinen Unterhalt durch eine Erwerbstätigkeit selbst zu verdienen.
Die Geburt eines von einem anderen Mann abstammenden Kindes in der Trennungszeit ist den ehelichen Lebensverhältnissen zuzurechnen. Kann die Ehefrau allein wegen der Geburt des nicht von ihrem Ehemann abstammenden Kindes ihre bis dahin ausgeübte Erwerbstätigkeit nicht fortsetzen, besteht im Grundsatz dennoch ein Anspruch auf Trennungsunterhalt. Ob und wieweit der Anspruch wegen der Geburt des Kindes ausgeschlossen ist, bestimmt sich allein nach den Vorschriften der §§ 1361 Abs. 3, 1579 BGB. Die Voraussetzungen eines Verwirkungstatbestandes sind nur bei Vorliegen weiterer Umstände gegeben.
Bei der Geburt eines nicht vom Ehemann abstammenden Kindes haftet der leibliche Vater des Kindes für den Unterhalt der Mutter in der Trennungszeit anteilig neben dem unterhaltsverpflichteten Ehemann. Steht das Alter der ehelichen Kinder einer Erwerbstätigkeit der Mutter nicht mehr entgegen und kann eine solche nur wegen der Betreuungsbedürftigkeit des neu geborenen, nicht vom Ehemann abstammenden Kindes nicht verlangt werden, besteht eine anteilige Mithaftung des Ehemannes während der Trennungszeit nur insoweit, als er auch ohne die Geburt des neuen Kindes in Anspruch genommen werden könnte; das neben der Betreuung der ehelichen Kinder erzielbare Einkommen ist der Mutter dann fiktiv zuzurechnen.
4.3.1.3 Ohne Kinderbetreuung
Hat der berechtigte Ehegatte keine Kinder zu betreuen, entsteht grundsätzlich mit Ablauf des Trennungsjahres eine Erwerbsobliegenheit, die auf eine Vollzeittätigkeit gerichtet ist. Hat die Ehe bis zur Trennung weniger als drei Jahre gedauert oder leben die Ehegatten in beengten finanziellen Verhältnissen, kann diese Erwerbsobliegenheit auch schon früher einsetzen.
Demgegenüber kann bei langjährigen Ehen die Erwerbsobliegenheit erst später, beispielsweise erst nach zwei Jahren Trennung, beginnen. Gleiches kann bei sehr guten wirtschaftlichen Verhältnissen in Betracht kommen.
Befindet sich der berechtigte Ehegatte bereits in einem fortgeschrittenen Alter und liegt eine lange Ehedauer vor, kann beispielsweise bei einer 60-jährigen Hausfrau und einer Ehedauer von über 27 Jahren eine Erwerbsobliegenheit ganz entfallen.
Hat ein Ehegatte während der Trennungszeit jahrelang freiwillig Ehegattenunterhalt gelei...