1 Leitsatz
Fehlender Ersatzwohnraum in Berlin als ein die Fortsetzung des Mietverhältnisses rechtfertigender Härtegrund gemäß § 574 Abs. 2 BGB trotz vorliegenden Eigenbedarfs.
2 Normenkette
§§ 574a Abs. 1, 574 Abs. 1, Abs. 2 BGB
3 Das Problem
Eine Vermieterin kündigte ihrem Mieter wegen Eigenbedarfs, weil sie als Eigentümerin ihre Wohnung in Berlin künftig selbst nutzen wollte. Im Kündigungsschreiben berief sie sich darauf, dass sie ihre Wohnung benötigt, weil sie in einem Restaurant in Berlin arbeiten wird, an dem sie Anteile erworben hat.
Der Mieter widersprach der Kündigung und verwies darauf, dass er in Berlin keinen angemessenen Ersatzwohnraum zu angemessenen Bedingungen findet. Aus diesem Grund sei die Beendigung des Mietverhältnisses für ihn mit einer unangemessenen Härte verbunden. Im Folgenden verklagte die Vermieterin ihn auf Räumung der Wohnung.
Das Amtsgericht Berlin-Mitte wies die Klage ab. Das Gericht begründete dies damit, dass die Kündigung wegen einer unzureichenden Begründung bereits aus formellen Gründen unwirksam sei. Gegen dieses Urteil legte die Vermieterin Berufung ein.
4 Die Entscheidung
Ohne Erfolg! Das LG Berlin II wies die Berufung der Vermieterin zurück und ordnete darüber hinaus an, dass die Vermieterin das Mietverhältnis für 2 Jahre fortsetzen muss.
Die Richter begründeten das damit, dass die Beendigung des Mietverhältnisses für den Mieter eine unzumutbare Härte darstellt, weil für ihn aufgrund seiner begrenzten finanziellen Mittel kein angemessener Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen zur Verfügung steht.
Das hat der Mieter dadurch unter Beweis gestellt, dass er sich über einen Zeitraum von 2 Jahren und 8 Monaten 244-mal vergeblich auf freie Wohnungen in Berlin sowie im Berliner Umland beworben hat.
Extreme Wohnungsmarktsituation in Berlin
Dass der Mieter keine reale Chance auf eine zumutbare Ersatzwohnung hat, ergibt sich nach Auffassung der Richter vor allem daraus, dass auf dem Berliner Wohnungsmarkt eine Leerstandsquote von nur noch 0,3 % besteht, dem hohen jährlichen Bevölkerungszuwachs (fast 85.000 Personen im Jahr 2022), eines gesunkenen Bestandes an Sozialwohnungen sowie einer geringen Quote von Neubauten.
Darüber hinaus stellte auch ein vom Gericht herangezogener Sachverständiger fest, dass der Mieter aufgrund des knappen Angebotes freier Wohnungen in Berlin keine Ersatzwohnung fand.
Das LG Berlin II sah das Interesse der Vermieterin an dem Einzug in ihre Wohnung als weniger gewichtig an als das Interesse des Mieters an der Fortsetzung des Mietverhältnisses. Denn für den Mieter bestehe das Risiko, dass er bei einer Räumung wohnungslos wird.
Keine unbefristete Fortsetzung des Mietverhältnisses
Die Anordnung der befristeten Fortsetzung des Mietverhältnisses begründete das Gericht damit, dass die unbefristete Fortsetzung nur ausnahmsweise in Betracht kommt. Es reiche eine Fortsetzung für 2 Jahre, weil sich das Einkommen des Mieters bis dahin voraussichtlich verbessert.
5 Entscheidung
LG Berlin II, Urteil v. 25.1.2024, 67 S 264/22
6 Einordnung der Entscheidung
Diese Entscheidung ist vor dem Hintergrund interessant, dass es vielerorts einen angespannten Wohnungsmarkt gibt, der sich in den nächsten Jahren voraussichtlich verschlimmern wird. Das gilt vor allem für Metropolen wie Berlin, Hamburg, München und Stuttgart, in denen es kaum erschwinglichen Wohnraum gibt. Hier müssen Vermieter damit rechnen, dass Gerichte die Fortsetzung des Mietverhältnisses zumindest für einen befristeten Zeitraum anordnen. Das dürfen sie aber nicht in jedem Fall:
- Mieter müssen konkret darlegen und nachweisen können, dass sie sich hinreichend um eine neue Wohnung bemüht haben. Das gilt auch, wenn sie kaum eine Chance auf dem Wohnungsmarkt haben.
- Gerichte müssen nach höchstrichterlicher Rechtsprechung genau begründen, weshalb sich Mieter auf einen Härtefall berufen können (BGH, Urteil v. 22.5.2019, VIII ZR 180/18) – was das LG Berlin II vorliegend getan hat. Wichtig ist auch, dass die Gerichte einen Sachverständigen hinzuziehen.