Leitsatz

  1. Die Gemeinschaft kann zur Deckung eines Finanzbedarfs grundsätzlich auch mit Kompetenz die Aufnahme eines Kredits beschließen
  2. Keine Beschlusskompetenz besteht allerdings im Regelfall, Eigentümer insoweit in gesamtschuldnerische Haftungsverantwortung zu nehmen
  3. Die Ausführung eines bestandskräftigen Beschlusses kann grundsätzlich nicht durch einen Wohnungseigentümer verhindert werden (Ausnahme nur bei entgegenstehenden schwerwiegenden Gründen, etwa erheblicher Änderung der tatsächlichen Verhältnisse oder möglicher Treuwidrigkeit)
 

Normenkette

§§ 10 Abs. 6, 21 Abs. 3 und 4, 23 Abs. 4 Satz 1 WEG; § 242 BGB

 

Kommentar

  1. Eine Gemeinschaft hatte eine Großsanierung des Gemeinschaftseigentums mit einem Aufwand von über einer halben Million Euro unter Einschluss staatlicher Zuschüsse und zinsbegünstigter KfW-Darlehen mit 10-jähriger Zinsbindung und Laufzeit von 20 Jahren bestandskräftig beschlossen. In nachfolgender Versammlung beantragte ein Eigentümer Freistellung von jeglicher Finanzierungshaftung, da er seinen Anteil aus Eigenmitteln zahlen könne und wolle; die Gemeinschaft wies seinen Antragswunsch mit erneutem Mehrheitsbeschluss zurück. Darauf klagte der Eigentümer auf Nichtigkeit des ersten Beschlusses und über Anfechtung auf Gültigkeit des nachfolgenden Beschlusses; seine Klage blieb allerdings in allen Instanzen ohne Erfolg.
  2. In der Revisionsentscheidung stellte der BGH zunächst heraus, dass der vorausgehende Finanzierungsbeschluss mangels Anfechtung wirksam sei. Nichtigkeitsgründe wurden verneint. Insbesondere bestehe insoweit für eine Entscheidung über eine Kreditaufnahme Beschlusskompetenz der Eigentümer. Der Verband kann nunmehr gemäß § 10 Abs. 6 Satz 1 WEG durch Beschluss über die Deckung eines Finanzbedarfs entscheiden, so also über Finanzierung aus Rücklagemitteln, durch Erhebung von Sonderumlagen oder auch durch Aufnahme von Darlehen (vgl. hierzu bereits BGH mit Beschluss v. 21.4.1988, BGHZ 104 S. 197/202). An dieser Rechtslage hat sich auch durch die WEG-Reform 2007 nichts geändert (vgl. BGH, Urteil v. 18.2.2011, V ZR 197/10 und h.M.). Der Anhalt hierfür ergibt sich auch aus § 27 Abs. 1 Nr. 4 WEG.

    Da der Finanzierungsbeschluss bestandskräftig wurde, musste auch nicht mehr die umstrittene Frage geklärt werden, ob ein solcher Kreditaufnahmebeschluss in dieser Größenordnung Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung entspricht, wenn es also nicht nur um die Deckung eines kurzfristigen Finanzbedarfs in überschaubarer Höhe geht.

    Vorliegend standen dem Kreditbeschluss weder mögliche Grundrechte des Klägers entgegen noch gesetzliche Regelungen nach den §§ 134, 138 BGB. Im Hinblick auf das besonders enge nachbarschaftliche Verhältnis der Wohnungseigentümer untereinander ist in erhöhtem Maße eine gemeinschaftsverträgliche Ausbalancierung der widerstreitenden Belange durch Herstellung praktischer Konkordanz herbeizuführen. Nach WEG sind diese Fragen allerdings unter dem Kriterium der Generalklausel "ordnungsgemäßer Verwaltung" und entsprechender Beschlussanfechtung zu überprüfen. Dabei ist auch das Selbstorganisationsrecht der Eigentümer zu berücksichtigen und deren weitgehender Ermessensspielraum in entsprechender Abwägung (h.M.). Die kurzen Beschlussanfechtungsfristen des § 46 Abs. 1 Satz 2 WEG sind im Übrigen verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BGH v. 16.1.2009, V ZR 74/08 und BGH v. 2.10.2009, V ZR 235/08).

  3. Beschlusskompetenz, eine Gesamtschuldhaftung der Eigentümer mehrheitlich zu beschließen, besteht allerdings seit Rechtsfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft nicht (§ 10 Abs. 6 Satz 1 WEG und zuvor BGH, Beschluss v. 2.6.2005, V ZB 32/05). Eine solche Gesamtschuldhaftung kommt nur noch dann in Betracht, wenn sich die einzelnen Eigentümer selbst neben dem Verband klar und eindeutig auch persönlich verpflichten. Dies war vorliegend nicht der Fall, sodass insoweit § 10 Abs. 8 WEG mit nur anteilsmäßiger (teilschuldnerischer) persönlicher Außenhaftung in Betracht kommen konnte. Der hier getroffene, bestandskräftig gewordene Sanierungsbeschluss enthielt nicht den geringsten Anhalt für die Begründung einer gesamtschuldnerischen Haftung, also ein "Einstehen sollen" der Eigentümer für Darlehensverpflichtungen über ihre Anteilshaftung hinaus.
  4. Dass die Gemeinschaft auch mehrheitlich den Freistellungswunsch des Klägers verneinte oder gesonderter Beschlussfassung vorbehielt, war nicht erkennbar. Ob überhaupt ein solcher Freistellungsbeschluss Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung entspricht, ist streitig, musste vorliegend aber nicht entschieden werden. Grundsätzlich hat kein Eigentümer Anspruch darauf, dass die Ausführung eines bestandskräftigen Beschlusses unterbleibt (zum Streitstand vgl. auch Abramenko, ZMR 2011, S. 897 und Jennißen, WEG, 3. Aufl., § 16 Rn. 10a m.w.N.).
  5. Die Durchführung einer bestandskräftig beschlossenen Maßnahme könnte nur dann verhindert werden, wenn schwerwiegende Gründe – etwa bei einer erheblichen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse – die Durchführung des Beschlusses als treuwidri...

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