Leitsatz

  1. In der Versammlung der Wohnungseigentümer sind die einzelnen Tagesordnungspunkte grundsätzlich in der in der Einladung angegebenen Reihenfolge zu behandeln; der Versammlungsleiter darf einen neuen Punkt erst aufrufen, wenn die vorhergehenden Punkte (in der Regel durch Abstimmung über einen Beschlußantrag) erledigt sind. Davon kann aufgrund eines Geschäftsordnungsbeschlusses, unter Umständen auch aufgrund unwidersprochen gebliebener Anordnung des Versammlungsleiters abgewichen werden.
  2. Ein Verstoß gegen diese Grundsätze kann zur Ungültigerklärung eines Eigentümerbeschlusses führen, wenn ein Wohnungseigentümer die Versammlung in der begründeten Annahme verlassen hat, ein ihn besonders interessierender Tagesordnungspunkt sei ohne Abstimmung erledigt, aber zu diesem Punkt später noch ein Eigentümerbeschluß gefaßt wird.
 

Sachverhalt

Die Eigentümer einer Wohnung ließen an der Schmalseite ihres Balkons ein Sichtschutzgitter anbringen. Anläßlich einer Eigentümerversammlung sollte hierüber ein nachträglicher Genehmigungsbeschluß herbeigeführt werden. Nachdem dieser Beschlußgegenstand auf der Versammlung eingehend diskutiert wurde, eine entsprechende Beschlußfassung zunächst aber nicht zustande kam, verließen die betreffenden Wohnungseigentümer die Versammlung, nachdem bereits über den auf der Tagesordnung stehenden nächsten Punkt gesprochen wurde.

Etwa eine Stunde, nachdem die Wohnungseigentümer die Versammlung verlassen hatten, kam es zur Beschlußfassung über die nachträgliche Genehmigung des Sichtschutzgitters. Die Genehmigung wurde mehrheitlich verweigert, die Eigentümer haben diesen Beschluß nunmehr gerichtlich angefochten.

 

Entscheidung

Die Beschlußanfechtung war erfolgreich, der Beschluß nicht ordnungsgemäß zustande gekommen.

Nach § 24 Abs. 5 WEG führt in der Regel der Verwalter den Vorsitz in der Eigentümerversammlung. Er hat sich dabei, was die Reihenfolge der einzelnen Tagesordnungspunkte und die Abstimmung darüber betrifft, grundsätzlich an die in der Einladung mitgeteilte Tagesordnung zu halten. Ein neuer Tagesordnungspunkt kann jedenfalls erst dann aufgerufen und zur Abstimmung gestellt werden, wenn der vorhergehende Punkt - in der Regel durch Abstimmung über einen Beschlußantrag - erledigt ist.

Ein derartiger "normaler" Verlauf einer Eigentümerversammlung kann zwar durch Geschäftsordnungsbeschlüsse sowie entsprechende Anordnungen des Verwalters als Versammlungsleiter, soweit keiner der Wohnungseigentümer widerspricht, geändert werden. Im vorliegenden Fall kam es aber weder zu einem Geschäftsordnungsbeschluß noch zu einer Anordnung durch den Verwalter. Dieser hatte sich vielmehr nicht an die Regeln für einen ordnungsgemäßen Ablauf einer Eigentümerversammlung gehalten.

Der die anfechtenden Wohnungseigentümer betreffende Tagesordnungspunkt wurde in deren Anwesenheit zwar besprochen, abgestimmt wurde hierüber jedoch nicht. Erst ca. eine Stunde später, als die Antragsteller die Versammlung bereits verlassen hatten, kam es zu der entsprechenden Abstimmung. Davor - noch in Anwesenheit der anfechtenden Eigentümer - wurde bereits der nächste Tagesordnungspunkt besprochen.

Die verspätete Abstimmung hätte nur dann einer ordnungsgemäßen Versammlungsleitung genügt, wenn der Verwalter die Wohnungseigentümer darüber unterrichtet hätte, daß noch eine Abstimmung zu diesem Gegenstand in Betracht komme. Was hier um so mehr angebracht gewesen wäre, als gerade von dieser Abstimmung die Interessen der Antragsteller elementar berührt waren. Ohne entsprechenden Hinweis mußten diese daher nicht davon ausgehen, daß darüber in der Versammlung überhaupt noch gesprochen und abgestimmt werden würde.

 

Link zur Entscheidung

BayObLG, Beschluss vom 18.03.1999, 2Z BR 151/98

Fazit:

Der Eigentümerbeschluß war demnach nicht ordnungsgemäß zustande gekommen. Die Rechtsfolgen sind dabei die gleichen wie in dem Fall, daß ein Wohnungseigentümer nicht zur Versammlung eingeladen wird oder daß der Versammlungsleiter die Versammlung vorher für beendet erklärt hat. Die Ungültigerklärung aufgrund rechtzeitiger Anfechtung entfällt in derartigen Fällen nur dann, wenn der Beschluß bei ordnungsgemäßer Durchführung der Versammlung gleichfalls gefaßt worden wäre - wobei hierbei aber ein strenger Maßstab anzulegen ist.

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