Leitsatz
Das Gemeinschaftsrecht steht einer nationalen Regelung der Berechnung der Steuer auf den erbrechtlichen Erwerb einer im betreffenden Mitgliedstaat belegenen unbeweglichen Sache entgegen, nach der bei der Ermittlung des Werts dieser Sache die unbedingte Verpflichtung des Inhabers des dinglichen Rechts, dieses an eine andere Person abzutreten, die wirtschaftlicher Eigentümer der genannten Sache ist, dann berücksichtigt werden kann, wenn der Inhaber des dinglichen Rechts bei seinem Tod in diesem Staat wohnte, nicht aber dann, wenn er in einem anderen Mitgliedstaat wohnte.
Normenkette
Art. 56 EGV , Art. 58 EGV , Richtlinie 88/361
Sachverhalt
Der bei seinem Tod in Belgien wohnhafte Niederländer Barbier hatte das wirtschaftliche Eigentum an seinen Grundstücken in den Niederlanden auf eine von ihm beherrschte Gesellschaft mit Sitz in den Niederlanden übertragen und sich verpflichtet, auch das Eigentumsrecht auf die Gesellschaft zu übertragen.
Die niederländischen Behörden weigerten sich, bei der Bewertung des Nachlasses die Übertragungsverpflichtung als Nachlassverbindlichkeit abzuziehen, weil der Erblasser bei seinem Tod nicht in den Niederlanden gewohnt hatte.
Entscheidung
Der EuGH hält die Beschränkung der Abzugsmöglichkeit auf den Erwerb von einem Erblasser, der seinen letzten Wohnsitz im Inland hatte, für einen Verstoß gegen die Freiheit des Kapitalverkehrs und beruft sich dabei auf den beim Tod des Erblassers noch geltenden Art. 67 des EWG-Vertrags sowie die in dessen Durchführung ergangene Richtlinie 88/361. Auf den Steuervorbehalt des Art. 58 Abs. 1 EGV können sich die Niederlande wegen des Abs. 3 des Artikels nicht berufen. Auf die Freizügigkeit geht der EuGH nicht näher ein; er deutet aber an, dass auch diese Grundfreiheit betroffen ist.
Hinweis
Obwohl die direkten Steuern, zu denen auch die Erbschaftsteuer gehört, nicht harmonisiert sind und in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, müssen diese ihre Befugnisse nach der Rechtsprechung des EuGH unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts ausüben. Dies bedeutet nach Ansicht des EuGH, dass sie insbesondere die Grundfreiheiten zu beachten haben. Bei der ErbSt geht es dabei vornehmlich um die Freiheit des Kapitalverkehrs und um die Freizügigkeit.
1. Gem. Art. 56 Abs. 1 EGV sind im Rahmen der Bestimmungen über den Kapital- und Zahlungsverkehr (Teil III. Titel III. Kapitel 4. EGV) – soweit hier maßgeblich – alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten verboten. Der danach liberalisierte Kapitalverkehr erfasst grenzüberschreitende einseitige Finanzgeschäfte, bei denen es in erster Linie um die Anlage des betreffenden Kapitalbetrags beispielsweise in Grundstücken geht (so Ahlt/Deisenhofer, Europarecht, 3. Aufl. 2003, S. 214; Lenz/Borchardt, EU- und EG-Vertrag, Kommentar, 3. Aufl. 2003; Art. 56 EGV Anm. 5), aber auch Erbschaften und Vermächtnisse (vgl. Anhang zur Kapitalverkehrsrichtlinie 88/361 vom 24.6.1988 Abl. EG 1988 Nr. L 178/5).
Mit dem Barbier-Urteil wendet der EuGH die europäischen Grundfreiheiten auch auf die Erbschaft- und Schenkungsteuer an. Verstärkt nach diesem Urteil wird in der Literatur die Meinung vertreten, § 13a ErbStG könne wegen seiner Beschränkung auf Inlandsvermögen gegen die Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 56 EGV verstoßen (vgl. Wachter, DStR 2004, 540, 542; Jochum, ZEV 2003, 171, 172). Zweifel an der Gemeinschaftsrechtskonformität des § 13a ErbStG bzw. der Vorgängervorschrift des § 13 Abs. 2a ErbStG haben schon früher Weinmann (in Moench, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, § 13a Anm. 6a) unter Berufung auf das EuGH-Urteil vom 6.6.2000, C-35/98 (IStR 2000, 432) und Dautzenberg/Brüggmann (BB 1997, 123,130) geäußert.
2. Gem. Art. 58 Abs. 1 Buchst. a EGV berührt Art. 56 EGV allerdings nicht das Recht der Mitgliedstaaten, die einschlägigen Vorschriften ihres Steuerrechts anzuwenden, die Steuerpflichtige mit unterschiedlichem Kapitalanlageort unterschiedlich behandeln. Das Schlussprotokoll zum Vertrag von Maastricht enthält dazu aber eine der Vertragsauslegung dienenden Erklärung, wonach dieses Recht der Mitgliedstaaten nur für nationale Steuervorschriften gilt, die Ende 1993 bereits "in Kraft standen" (so Lenz/Borchardt, a.a.O., Art. 58 EGV Anm. 4) oder "bereits bestanden haben" (so Dautzenberg/Brüggemann, a.a.O.). Derartige Protokollerklärungen sollen nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts bei der Auslegung zu berücksichtigen sein (so Dautzenberg/Brüggemann, a.a.O.).
Die Anwendbarkeit dieses Steuervorbehalts nach Art. 58 Abs. 1 EGV unterliegt danach in Bezug auf § 13a ErbStG mindestens einer zweifachen Unsicherheit:
a) So ist einmal zweifelhaft, inwieweit Art. 58 Abs. 1 durch Abs. 3 relativiert wird, wonach die unter den Steuervorbehalt fallende nationale Steuervorschrift weder eine willkürliche Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des freien Kapitalverkehrs darstellen darf (vgl. Jochum, a.a.O.). Eine solche Verschleierung bejaht der EuGH in der Rechtssache Barbier (Rz. 73).
b) Zum ande...