Dr. Wolf-Dietrich Deckert†
Leitsatz
Unangefochten gebliebener Mehrheitsbeschluss auf Gestattung einer Terrassenerrichtung mit Unterkellerung und Gebrauchsüberlassung ist wirksam
Normenkette
§ 15 Abs. 1 WEG, § 21 Abs. 3 WEG, § 22 Abs. 1 WEG, § 23 Abs. 1, 4 WEG, § 43 Abs. 4 WEG, § 44 Abs. 1 WEG
Kommentar
Das Bayerische Oberste Landesgericht hat entschieden:
1. Die Errichtung einer Terrasse samt darunter liegendem Keller und ihre Überlassung an einen Wohnungseigentümer zum alleinigen Gebrauch kann nicht mehrheitlich beschlossen werden. Ein gleichwohl gefasster und unangefochten gebliebener Mehrheitsbeschluss ist jedoch wirksam (Abweichung von OLG Karlsruhe, WM 1991, 54 und).
Bei der vom Antragsgegner vorgenommenen Baumaßnahme handele es sich um eine bauliche Veränderung des Gemeinschaftseigentums, die über eine ordnungsgemäße Instandhaltung oder Instandsetzung hinausgehe, so dass sie nicht durch Stimmenmehrheit beschlossen werden konnte ( § 22 Abs. 1 S. 1 WEG). Durch die Baumaßnahme seien die Rechte der übrigen Wohnungseigentümer über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus beeinträchtigt worden. Dies ergebe sich schon daraus, dass die restlichen Eigentümer durch die Errichtung der Terrasse von dem ihnen grundsätzlich zustehenden Mitgebrauch ( § 13 Abs. 2 WEG) an dem betreffenden Teil des Gemeinschaftseigentums auf Dauer ausgeschlossen seien. Dass der Antragsgegner hierfür eine Entschädigung angeboten habe, ändere an der Rechtslage nichts.
Der Genehmigungsbeschluss habe dem Antragsgegner ein Sondernutzungsrecht an gemeinschaftlicher Grundstücksfläche und gemeinschaftlichen Bauteilen eingeräumt. Nach allgemeiner Meinung sei auch dies nur durch eine Vereinbarung, also unter Mitwirkung aller Wohnungseigentümer möglich, nicht jedoch durch einen Mehrheitsbeschluss ( § 15 Abs. 1 WEG; vgl. auch BayObLG, NJW-RR 1990, 1104 m. w. Nachw.). Die Baumaßnahme und Überlassung der betreffenden Fläche und der Bauteile des Gemeinschaftseigentums hätten zwar der Mitwirkung aller Wohnungseigentümer bedurft; der Eigentümermehrheitsbeschluss sei jedoch wirksam geworden, weil er nicht angefochten worden sei. Der Beschluss sei nicht nichtig, weil er nicht gegen eine Rechtsvorschrift verstoße, auf die wirksam nicht verzichtet werden könne; Wohnungseigentümer hätten nämlich in einvernehmlichem Zusammenwirken die Baumaßnahme und die alleinige Nutzung durch die Antragsgegner genehmigen können ( § 23 Abs. 4 S. 2 WEG).
Seit der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 21. 5. 1970 (BGHZ 54, 65) vertrete der Senat in ständiger Rechtsprechung die Ansicht, dass ein unangefochten gebliebener Mehrheitsbeschluss auch dann wirksam und für alle Wohnungseigentümer bindend sei, wenn Gegenstand des Beschlusses eine Angelegenheit sei, welche die Wohnungseigentümer zwar durch Vereinbarung im Sinne des § 10 Abs. 1 S. 2 WEG regeln, über die sie aber nicht mit Stimmenmehrheit beschließen könnten (vgl. auch BayObLG Z 1991, 165/170; in ETW als sog. Zitterbeschluss bezeichnet).
Daran halte der Senat mit der ganz überwiegenden Meinung im Schrifttum trotz der Entscheidungen des OLG Karlsruhe (WM 1991, 54) und des OLG Köln (DWE 91, 155) fest. Vorgenannte Entscheidungen hätten einem unangefochten gebliebenen Mehrheitsbeschluss, in dem einem Wohnungseigentümer das Sondernutzungsrecht an gemeinschaftlichem Eigentum eingeräumt wurde, jegliche Rechtswirkung abgesprochen (ihn also als nichtig angesehen); die Entscheidungen seien jedoch im Schrifttum auf Ablehnung gestoßen (Demharter, MittBayNot 1992, 138; Sauren DWE 1992, 50).
Die Voraussetzungen für eine Vorlage an den BGH seien jedoch nicht gegeben, da sich der Senat im Einklang mit dessen Rechtsprechung sehe (BGHZ 15, 151/153).
2. Die Feststellung, ob ein Eigentümerbeschluss zustande gekommen ist und welchen Inhalt er hat, ist Sache des Tatrichters; sie kann vom Rechtsbeschwerdegericht nur auf Rechtsfehler nachgeprüft werden (BayObLG, WE 1991, 289; 1992, 229; a. A. OLG Stuttgart, WM 1991, 414).
3. Am Verfahren materiell und formell beteiligte Wohnungseigentümer können nicht als Zeugen, sondern nur als Beteiligte vernommen werden (formlose Anhörung oder auch förmliche Vernehmung; BayObLG, Rechtspfleger 1970, 340). Auch wenn Aussagen von "Zeugen" und nicht von Beteiligten rechtsfehlerhaft durch die Vorinstanzen erhoben und gewürdigt wurden, kann dies das Ergebnis der Beweiswürdigung im vorliegenden Fall aber nicht infrage stellen.
4. In Wohnungseigentumssachen ist in öffentlicher Sitzung zu verhandeln. Ohne Auswirkungen auf die Entscheidung blieb hier jedoch, dass das AG entgegen § 44 Abs. 1 WEG i. V. m. Art. 6 Abs. 1 S. 1 MRK in nicht öffentlicher Sitzung verhandelt hat, weil jedenfalls vor dem LG öffentlich verhandelt wurde (vgl. hierzu auch BayObLG Z 1988, 436; OLG Hamm, OLG Z 1988, 185; KG Berlin, NJW-RR 1990, 456).
5. Kostenentscheidung:
Zulasten der Antragsteller im Rechtsbeschwerdeverfahren einschl. außergerichtlicher Kostenerstattung.
Geschäftswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren: DM 10.000,-.
Link zur Entscheidung
( BayObLG,...