Leitsatz
1. Art. 17 Abs. 7 Satz 1 der 6. EG-RL verlangt von den Mitgliedstaaten zur Erfüllung der in Art. 29 der genannten RL vorgesehenen Konsultationsverfahrensverpflichtung, den Beratenden Ausschuss für die Mehrwertsteuer darüber zu informieren, dass sie den Erlass einer von der allgemeinen Vorsteuerabzugsregelung abweichenden nationalen Maßnahme beabsichtigen, und diesem Ausschuss so weitreichende Informationen zu liefern, dass er diese Maßnahme in voller Kenntnis der Sachlage prüfen kann.
2. Art. 17 Abs. 7 Satz 1 der 6. EG-RL ist dahin auszulegen, dass er einen Mitgliedstaat nicht dazu ermächtigt, Gegenstände von der Vorsteuerabzugsregelung ohne vorherige Konsultation des nach Art. 29 der 6. EG-RL eingesetzten Beratenden Ausschusses für die Mehrwertsteuer auszuschließen. Die gleiche Vorschrift ermächtigt einen Mitgliedstaat auch nicht, zum Ausschluss von Gegenständen vom Vorsteuerabzug Maßnahmen zu erlassen, die keine Angaben zu ihrer zeitlichen Begrenzung enthalten und/oder zu einem Paket von Strukturanpassungsmaßnahmen gehören, mit denen bezweckt ist, das Haushaltsdefizit zu verringern und eine Rückzahlung der Staatsschulden zu ermöglichen.
3. Soweit kein Ausschluss von der Vorsteuerabzugsregelung im Einklang mit Art. 17 Abs. 7 Satz 1 der 6. EG-RL geschaffen worden ist, können die nationalen Steuerbehörden einem Steuerpflichtigen keine Bestimmung entgegenhalten, die von dem in Art. 17 Abs. 1 dieser RL aufgestellten Grundsatz des Vorsteuerabzugs abweicht. Da der Steuerpflichtige dieser abweichenden Vorschrift unterworfen worden ist, muss er seine Mehrwertsteuerschuld gem. Art. 17 Abs. 2 der 6. EG-RL neu berechnen können, soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet wurden.
Normenkette
Art. 17 Abs. 7, Art. 29 der 6. EG-RL
Sachverhalt
Stradasfalti (S) Gesellschaft mit Sitz in Trient, machte Vorsteuerbeträge geltend für Aufwendungen, die aus Konjunkturgründen nach einer befristeten italienischen Regelung seit 1972 – mit jährlicher Verlängerung – nicht abziehbar waren.
Entscheidung
Die Grundsätze ergeben sich aus dem Leitsatz; hier hatte der EuGH die Beschränkung der Wirkungen des Urteils auf die Zukunft verneint, weil der Mehrwertsteuerausschuss die italienische Regierung seit 1980 immer darauf hingewiesen hatte, dass die fragliche Ausnahme nicht mit Art. 17 Abs. 7 der 6. EG-RL gerechtfertigt werden könne.
Außerdem habe die italienische Regierung nicht vermocht, die Verlässlichkeit der Berechnung nachzuweisen, die sie dazu veranlasste, vor dem Gerichtshof vorzutragen, dass das vorliegende Urteil beträchtliche finanzielle Konsequenzen zu haben drohe, wenn seine Wirkungen nicht zeitlich beschränkt würden.
Hinweis
Die Entscheidung ist derzeit für Deutschland nicht von Bedeutung; sie ist das nur, wenn ein Mitgliedstaat von der Möglichkeit der Einschränkung des Vorsteuerabzugs aus konjunkturpolitischen Gründen Gebrauch gemacht hat. Das ist in Deutschland derzeit nicht der Fall. Dennoch:
1. Nach Art. 17 Abs. 7 der 6. EG-RL kann jeder Mitgliedstaat "vorbehaltlich der in Art. 29 vorgesehenen Konsultation ... aus Konjunkturgründen die Investitionsgüter oder bestimmte Investitionsgüter oder andere Gegenstände von der Vorsteuerabzugsregelung teilweise oder ganz ausschließen. Die Mitgliedstaaten können zur Wahrung gleicher Wettbewerbsbedingungen – anstatt den Vorsteuerabzug abzulehnen – die Gegenstände, welche der Steuerpflichtige selbst hergestellt oder im Inland erworben oder auch eingeführt hat, in der Weise besteuern, dass diese Steuer die Mehrwertsteuer nicht überschreitet, die beim Erwerb entsprechender Gegenstände zu entrichten wäre".
Art. 29 der 6. EG-RL beschränkt sich jedoch nur auf Regelungen über Zusammensetzung, Vorsitz und Sekretariat des Ausschusses. Zweifelhaft war deshalb – weil Italien eine solche Regelung über 20 Jahre jährlich verlängert hatte und die Verlängerung dem Ausschuss jeweils wohl lapidar mitgeteilt hatte – wie die erforderliche Konsultation des Ausschusses auszusehen hatte, vor allem, ob die jährliche Mitteilung über die Verlängerung ausreichte.
2. Art. 17 Abs. 7 der 6. EG-RL enthält die Befugnis, von der allgemeinen Mehrwertsteuerregelung abzuweichen. Zweck des Erfordernisses der vorherigen Konsultation ist, der Ausschuss soll kontrollieren, insbesondere prüfen können, ob die in Rede stehende nationale Maßnahme die Voraussetzung erfüllt, dass sie aus Konjunkturgründen erlassen wird. Bei der Konsultation des Mehrwertsteuerausschusses handelt es sich um eine Vorbedingung für den Erlass jeder auf dieser Bestimmung beruhenden Maßnahme (vgl. Rd.Nr. 29). Diese Verpflichtung zur Konsultation des Mehrwertsteuerausschusses wäre sinnentleert, wenn sich die Mitgliedstaaten darauf beschränken würden, diesem Ausschuss die abweichende nationale Maßnahme, die sie zu erlassen beabsichtigen, mitzuteilen, ohne dieser Mitteilung die geringste Erklärung über Art und Reichweite der Maßnahme beizufügen.
Diese Verfahrensverpflichtung setzt somit voraus, dass die Mitglied...