3.7.1. Begriffsbestimmungen und allgemeine Erwägungen

3.7.1.1.

Reproduktionstoxizität:Beeinträchtigungen von Sexualfunktion und Fruchtbarkeit bei Mann und Frau sowie Entwicklungstoxizität bei den Nachkommen, die nach der Exposition gegenüber einem Stoff oder Gemisch auftreten/auftritt. Die nachstehenden Begriffsbestimmungen gehen mit gewissen Anpassungen auf die Arbeitsdefinitionen zurück, die im EHC-Dokument Nr. 225 (Environmental Health Criteria: Umweltgesundheitskriterien) des Internationalen Programms für Chemikaliensicherheit (IPCS - International Programme on Chemical Safety) mit dem Titel "Principles for Evaluating Health Risks to Reproduction Associated with Exposure to Chemicals" vereinbart worden sind. Für die Zwecke der Einstufung wird die bekannte Verursachung genetisch bedingter, an die Nachkommen vererbbarer Folgen in Abschnitt 3.5 "Keimzellmutagenität" behandelt, weil es nach dem vorliegenden Einstufungssystem als zweckmäßiger gilt, derartige Wirkungen in einer eigenen Gefahrenklasse als Keimzellmutagenität zu erfassen.[1]

Bei diesem Einstufungssystem wird die Reproduktionstoxizität folgendermaßen unterteilt:

 

a)

Beeinträchtigung von Sexualfunktion und Fruchtbarkeit,

 

b)

Entwicklungsschäden bei den Nachkommen.

Einige reproduktionstoxische Wirkungen lassen sich nicht klar der Beeinträchtigung von Sexualfunktion und Fruchtbarkeit oder der Entwicklungstoxizität zuordnen. Stoffe und Gemische mit diesen Wirkungen werden trotzdem als reproduktionstoxische Stoffe eingestuft und mit einem allgemeinen Gefahrenhinweis versehen.[2]

3.7.1.2.

Für die Zwecke der Einstufung wird die Gefahrenklasse Reproduktionstoxizität unterteilt in:

Beeinträchtigung

der Sexualfunktion und Fruchtbarkeit oder
der Entwicklung;
Wirkungen auf oder über die Laktation.

3.7.1.3

Beeinträchtigung von Sexualfunktion und Fruchtbarkeit

Jede Wirkung eines Stoffes, die die Sexualfunktion und die Fruchtbarkeit stören kann. Dazu gehören unter anderem Veränderungen der weiblichen und männlichen Fortpflanzungsorgane, Störungen des Eintritts in die Pubertät, der Gametenbildung und des Gametentransports, der Regelmäßigkeit des Reproduktionszyklus, des Sexualverhaltens, der Fruchtbarkeit, der Geburt, der Schwangerschaft sowie vorzeitiges reproduktives Altern oder Änderungen anderer Funktionen, die von der Unversehrtheit der Fortpflanzungssysteme abhängen.

3.7.1.4

Beeinträchtigung der Entwicklung von Nachkommen

Der Begriff Entwicklungstoxizität umfasst im weitesten Sinne jede Beeinträchtigung der normalen Entwicklung des Konzeptus vor und nach der Geburt aufgrund einer Exposition eines der Elternteile vor der Empfängnis oder aufgrund der Exposition der Nachkommen im Laufe ihrer vorgeburtlichen Entwicklung oder nach der Geburt bis zur Erlangung der Geschlechtsreife. Man kann jedoch davon ausgehen, dass die Einstufung der Entwicklungstoxizität hauptsächlich dazu dient, dass man schwangere Frauen sowie fortpflanzungsfähige Frauen und Männer mit einem entsprechenden Hinweis warnen kann. Aus pragmatischen Einstufungsgründen bezeichnet die Entwicklungstoxizität daher im Wesentlichen die Beeinträchtigungen während der Schwangerschaft oder infolge einer Exposition eines Elternteils. Diese Wirkungen können jederzeit im Leben eines Organismus auftreten. Zu den wichtigsten Erscheinungsformen der Entwicklungstoxizität gehören 1) der Tod des in der Entwicklung befindlichen Organismus, 2) Missbildungen, 3) Wachstumsstörungen und 4) funktionelle Störungen.

3.7.1.5.

Beeinträchtigungen der Laktation oder über die Laktation gehören auch zur Reproduktionstoxizität, obgleich sie zu Einstufungszwecken gesondert behandelt werden (siehe Tabelle 3.7.1 b)). Grund dafür ist, dass man in der Lage sein wollte, Stoffe aufgrund der Beeinträchtigung der Laktation separat einzustufen, so dass man stillende Mütter mit einem besonderen Hinweis vor dieser Wirkung warnen kann.

[1] Geändert durch Verordnung (EU) 2019/521. Anzuwenden ab 17.10.2020.
[2] Geändert durch Verordnung (EU) 2019/521. Anzuwenden ab 17.10.2020.

3.7.2. Einstufungskriterien für Stoffe

3.7.2.1.

Gefahrenkategorien

3.7.2.1.1

Um Stoffe bezüglich ihrer Reproduktionstoxizität einzustufen, werden sie einer von zwei Kategorien zugeordnet. In jeder Kategorie werden die Auswirkungen auf die Sexualfunktion und Fruchtbarkeit sowie auf die Entwicklung getrennt betrachtet. Zudem werden die Wirkungen auf/über die Laktation einer eigenen Gefahrenkategorie zugeordnet.

Tabelle 3.7.1 a)

Gefahrenkategorien für reproduktionstoxische Stoffe

 

 

Kategorien Kriterien
KATEGORIE 1 Bekanntermaßen oder wahrscheinlich reproduktionstoxischer Stoff Stoffe werden dann als reproduktionstoxisch der Kategorie 1 eingestuft, wenn sie beim Menschen bekanntermaßen die Sexualfunktion und Fruchtbarkeit oder die Entwicklung beeinträchtigen oder wenn Befunde aus Tierstudien, möglichst ergänzt durch weitere Informationen, vorliegen, die die deutliche Annahme erlauben, dass der Stoff die Fähigkeit hat, die menschliche Fortpflanzung beeinträchtigen zu können. Die Einstufung eines Stoffes wird weiter danach differenziert, ob die Einstufung überwiegend aufgrund ...

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