Dr. Klaus-Peter Horndasch
Gem. § 1666 Abs. 1 BGB hat das Familiengericht die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen zu treffen, wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet wird und die Eltern nicht gewillt oder in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden. Dabei sind Maßnahmen, mit denen eine Trennung der Kinder von der elterlichen Familie verbunden ist, nur zulässig, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfen, begegnet werden kann (§ 1666a BGB).
Bei der Auslegung des Begriffs Kindeswohl ist zu berücksichtigen, dass gem. Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG dem Erziehungsrecht der Eltern Vorrang zukommt und der Staat in dieses Erziehungsrecht nur nach Maßgabe des Art. 6 Abs. 2 S 2 GG bei strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eingreifen darf. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dient das den Eltern gem. Art. 6 Abs. 2 GG gewährleistete Grundrecht auf Pflege und Erziehung ihres Kindes in erster Linie dem Kindeswohl, das zugleich oberste Richtschnur für die Ausübung der Elternverantwortung ist.
Dabei gehört es nicht zum staatlichen Wächteramt gem. Art. 6 II GG, für eine den Fähigkeiten des jeweiligen Kindes bestmögliche Förderung zu sorgen; vielmehr gehören die Eltern und deren gesellschaftliche und wirtschaftliche Verhältnisse zum Schicksal und Lebensrisiko des Kindes.
Im Rahmen der §§ 1666, 1666a BGB ist stets zu beachten, dass kein Kind Anspruch auf "Idealeltern" und optimale Förderung und Erziehung hat und sich staatliche Eingriffe auf die Abwehr von Gefahren beschränken. Keinesfalls kann es für eine Trennung des Kindes von den Eltern oder einen Elternteil ausreichen, dass es andere Personen oder Einrichtungen gibt, die zur Förderung und Erziehung besser geeignet wären.
Darüber hinaus ist bei der Prüfung der Kindeswohlgefährdung i. S. d. § 1666, 1666a BGB auch zu berücksichtigen, dass Art. 8 EMRK das Recht auf Achtung des Familienlebens garantiert und Eingriffe des Staates nur unter engen Voraussetzungen zulässt. Dieses Gebot einer Achtung des Familienlebens führt dazu, dass der Staat bei Vornahme von Eingriffen grundsätzlich so handeln muss, dass eine Fortentwicklung in der familiären Erziehung erfolgen kann; er hat geeignete Schutzmaßnahmen zu ergreifen, um die Eltern und das Kind zusammen zu lassen.
Eine Trennung von Eltern und Kindern kann allerdings in manchen Fällen unumgänglich sein, selbst wenn beispielsweise die Kinder sich dafür aussprechen, bei einem der Elternteile leben zu wollen. So hat das OLG Köln in einer Entscheidung vom 7.10.2011 erklärt:
- Das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das Recht zur Regelung schulischer Belange sowie das Recht zur Regelung erzieherischer Hilfen und das Recht zum Umgang mit beiden Elternteilen können gem. §§ 1666, 1666a BGB den Eltern auch dann entzogen und auf einen Ergänzungspfleger übertragen werden, wenn die Kinder ausdrücklich und ernsthaft erklären, nicht bei der Mutter, aber beim Vater leben zu wollen, eine Übertragung des Sorgerechts auf den Vater – jedenfalls in diesen Teilbereichen – aber nicht infrage kommt, weil der Verbleib der Kinder beim Vater zu einer Kindeswohlgefährdung führen würde.
- Eine solche Kindeswohlgefährdung kann angenommen werden, wenn die Kindeseltern (derzeit) nicht in der Lage sind, ihre Kinder altersgerecht und sozial adäquat zu erziehen, weil sie ihren eigenen Beziehungskonflikt nicht aufgearbeitet haben und aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur ihre heillose Zerstrittenheit in Bezug auf die fehlende Wertschätzung des jeweils anderen ehemaligen Partners und auf die Frage der Erziehung ihrer Kinder dem Kindeswohl nicht unterordnen können, und bei den von den Eltern hierin einbezogenen Kindern bereits deutliche Defizite in ihrer Persönlichkeitsentwicklung feststellbar sind, die sich bei Belassen der Kinder bei einem der Elternteile zu verfestigen drohen.
Am 12.7.2008 ist das "Gesetz zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls" in Kraft getreten. Im Gegensatz zum eindrucksvollen Titel des Gesetzes hat hierdurch § 1666 BGB zwar eine sprachliche, jedoch keine inhaltliche Veränderung erfahren. Mit der Neufassung entfielen lediglich die verschiedenen gesetzlich formulierten Erscheinungsformen der Kindeswohlgefährdung. Der Gesetzgeber hat mit der Streichung die Hoffnung verbunden, dass hierdurch unnötige Unsicherheiten des Jugendamtes bei der Anrufung des Familiengerichts entfallen. Der Gesetzgeber räumt in der Begründung allerdings ein, dass die Rechtsprechung bereits heute häufig auf die Festlegung einer Variante des elterlichen Fehlverhaltens verzichte. Veit meint dazu, dass insgesamt die Bestimmung der Generalklausel der Kindeswohlgefährdung nicht einfacher geworden ist.
Die Schwelle der Kindeswohlgefährdung bleibt nach ausdrücklicher und wiederholter Klarstellung des Gesetzgebers unverändert erhalten.
In § 1666a BGB ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und des Vorrangs öffentlich...