Es ist in der Rechtsprechung und Literatur umstritten, ob § 1666 BGB auch schon vor der Geburt eines Kindes eine "Ermächtigungsgrundlage" für Auflagen an eine Schwangere dienen kann, deren Verhalten den Fötus schädigen könnte.[1]

Im Wortlaut meint § 1666 BGB ausschließlich das bereits geborene Kind. Ist nämlich tatsächlich der Embryo gemeint, verwendet das Gesetz andere Begriffe (§ 1912 BGB: Pflegschaft für eine "Leibesfrucht") oder stellt klar, ob der Zeitraum vor oder nach der Geburt gemeint ist (so § 1774 S. 2 BGB).

Die elterliche Sorge kann nur für ein bereits geborenes Kind bestehen. Aus diesem Grund hatte das OLG Frankfurt a. M.[2] es auch abgelehnt, die elterliche Sorge bereits vor der Geburt zu entziehen. Die weitere Frage, ob vor der Geburt eines Kindes eine sorgerechtliche Entscheidung getroffen werden kann, die erst im Zeitpunkt der Geburt Wirksamkeit entfaltet, wird unter dem Aspekt der an sich unerlaubten Vorratsbeschlüsse diskutiert.[3]

In einer Entscheidung vom 15.3.2021 hat das Amtsgericht Wesel einer werdenden Mutter nicht die elterliche Sorge entzogen, sondern sie nach § 1666 I, III Nr. 1 BGB i. V. m. § 49 FamFG angewiesen, sich sofort in ärztliche Behandlung zu begeben.[4] Das Amtsgericht hat dazu erklärt, dass der Schutz des ungeborenen Lebens vorgehe und die Verfassung auch über die Wortlautgrenze hinaus eine analoge Anwendung des §§ 1666 BGB gebieten würden.

Lies-Benachib erklärt zurecht dazu[5], dass die für eine Analogie notwendige planwidrige Gesetzeslücke jedoch kaum feststellbar sei. Dem Gesetzgeber habe bereits am 2.9.2009 der Abschlussbericht der Arbeitsgruppe "familiengerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls" vorgelegen, eine Lücke hinsichtlich des Embryos erkannt, aber dennoch ausdrücklich keine gesetzliche Regelung für Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls durch vorgeburtliche schädliche Verhaltensweisen der Schwangeren vorgesehen hätte.

Der Gesetzgeber habe danach nur Hilfestellungen im SGB VIII und KKG normiert und im Bürgerlichen Gesetzbuch nur wenige Eingriffskompetenzen (§§ 1912, 1774 BGB) vorgesehen. Das bewusste Absehen von einer konkreten Regelung des Kinderschutzes bei Schwangeren spreche gegen eine planwidrige Lücke und damit gegen eine Analogie.

In dem vom Amtsgericht Wesel entschiedenen Fall hatte die Schwangere trotz zahlreicher Versuche keinerlei Bereitschaft zu einer Mitwirkung an Hilfeleistungen gezeigt. Damit stoßen zahlreiche Maßnahmen nach § 1666 BGB an Grenzen, weil Ärzte und Behörden für Behandlungsmaßnahmen bzw. Hilfeleistungen auf die Einwilligung der Patientin bzw. Mitwirkung der Betroffenen angewiesen sind. Die Mutter ist im entschiedenen Fall weder für Ärzte noch für das Jugendamt oder das Familiengericht erreichbar gewesen.

Um zu einem Schutz für das ungeborene Kind zu kommen, hat das Amtsgericht Wesel dann gem. § 1666 BGB die gerichtliche Auflage an die werdende Mutter gerichtet, wegen ihrer Schwangerschaft Hilfe durch fachärztliche Beratung und Behandlung durch eine Frauenärztin/einen Frauenarzt in Anspruch zu nehmen und sich in eine Klinik zu begeben.

Diese Pflicht ist allein strafrechtlich durch §§ 218 ff StGB abgesichert. Einen weiteren bindenden Pflichtenkanon kennt das Gesetz nicht.

Deswegen kann die staatliche Gemeinschaft kaum etwas, so zurecht Lies-Benachib, gegen Nikotin- und Alkoholkonsum schwangerer Frauen unternehmen und sie auch nicht zu regelmäßigen – sinnvollen – Arztbesuchen zwingen. Lediglich eine familiengerichtliche Anhörung im Rahmen einer Anregung nach § 8a SGB VIII kann in der Hoffnung auf Einsicht angeordnet werden. Diejenigen Fälle, in denen die Kindesmutter oder eben zukünftige Kindesmutter als erziehungsunfähig angesehen werden muss und die weder auf Angebote noch auf Beschlüsse reagiert, sind schwierig zu behandeln.

Das Dilemma, in dem sich in solchen Fällen das Jugendamt und das Familiengericht befinden, ist offenbar. Gleichwohl muss nach diesseitiger Auffassung gelten, dass der Gesetzgeber sich schließlich gegen Interventionsmöglichkeiten gegenüber Schwangeren entschieden hat und auf die bessere Wirksamkeit helfender Angebote, vor allem nach Geburt eines Kindes vertraut.[6]

Anordnungen gegen Schwangere nach §§ 1666, 1666 ABGB scheiden danach aus.[7]

In letzter Zeit mehren sich allerdings Stimmen, die abweichender Auffassung sind. Danach spräche zwar der Wortlaut des § 1666 BGB gegen die Einbeziehung es ungeborenen Lebens in den Schutzbereich der Vorschrift. Gleichwohl sei, gerade in Anbetracht der Rechtsprechung des BVerfG, das eine Schutzbedürftigkeit auch des ungeborenen Lebens bejahe, anzunehmen, dass auch das ungeborene Leben schutzwürdig i. S. dieser Vorschrift ist.[8]

Von der – zu verneinenden – Frage, ob ein vorgeburtlicher Entzug der elterlichen Sorge möglich ist, müsse aber unterschieden werden, ob das FamG er Mutter während der Schwangerschaft Verhaltensweisen auferlegen kann, um das Kindeswohl zu schützen. Es ginge nicht darum, ihm über § 1666 BGB eine optimale Schwangerschaft zu ermöglichen, sondern allen...

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