Leitsatz
Die Parteien stritten um die Vollstreckbarkeit einer einstweiligen Maßnahme eines spanischen Gerichts zum Aufenthaltsbestimmungsrecht und zur Kindesherausgabe in Deutschland.
Sachverhalt
Im Jahre 2005 zog die Antragsgegnerin zu dem Antragsteller nach Spanien, wo beide sodann in nichtehelicher Lebensgemeinschaft lebten. Aus ihrer Beziehung gingen nach einer komplizierten Schwangerschaft am 31.5.2006 die früh geborenen Zwillinge Merlin und Samira hervor. Der Sohn Merlin wurde im September 2006 aus dem Krankenhaus entlassen. Die Tochter Samira konnte wegen eingetretener Komplikationen erst im März 2007 entlassen werden.
Das Verhältnis der Eltern hatte sich inzwischen deutlich verschlechtert. Im Januar 2007 schlossen sie in Spanien eine notarielle Vereinbarung, wonach die Antragsgegnerin mit den Kindern nach Deutschland zurückkehren durfte und dem Antragsteller ein Umgangsrecht mit ihnen zustehen sollte. Die Antragsgegnerin reiste im Februar 2007 mit dem Sohn Merlin nach Deutschland, während Samira noch im spanischen Krankenhaus verblieb.
Der Antragsteller fühlte sich in der Folgezeit nicht mehr an die notarielle Vereinbarung gebunden und leitete im Juli 2007 ein Sorgerechtsverfahren ein, in dem ihm im November 2007 per einstweiliger Anordnung das "gemeinsame Sorgerecht" für beide Kinder zugesprochen wurde. Die "elterliche Gewalt" verblieb bei beiden Eltern, ferner wurde die Herausgabe von Merlin an den Antragsteller angeordnet. Das spanische Gericht stellte eine Bescheinigung nach Art. 39 Abs. 1 Brüssel-IIa-VO aus. Die Antragsgegnerin war in dem Verfahren geladen und anwaltlich vertreten, nahm jedoch nicht persönlich am Termin teil.
Im September 2007 leitete die Antragsgegnerin in Deutschland vor dem AG ein Verfahren ein, um die Alleinsorge für beide Kinder zu erlangen. Nachdem der Antragsteller ein HKÜ-Rückführungsverfahren betreffend Merlin eingeleitet hatte, wurde das deutsche Sorgerechtsverfahren von März bis Mai 2008 ausgesetzt und dann nach § 13 Int-FamRVG an das AG St. abgegeben. Das AG St. äußerte Zweifel an seiner internationalen Zuständigkeit und beabsichtigte zurzeit der BGH-Vorlage eine Aussetzung nach Art. 19 Abs. 2 Brüssel IIa-VO im Hinblick auf ein in Spanien anhängiges Hauptsacheverfahren zur elterlichen Sorge.
AG und OLG erklärten die spanische einstweilige Anordnung für vollstreckbar. Hiergegen erhob die Antragsgegnerin Rechtsbeschwerde zum BGH.
Entscheidung
In seiner Entscheidung stellte der BGH fest, dass die entscheidungserhebliche Rechtsfrage, ob die Vorschriften der Brüssel IIa-VO über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen anderer Mitgliedsstaaten auch für einstweilige Maßnahmen i.S.v. Art. 20 der VO gelten, in der Literatur umstritten und in der Rechtsprechung nicht geklärt sei.
Der BGH setzte das Verfahren aus und legte die entsprechende Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung gemäß Art. 234 EGV vor.
Auf der Grundlage der durch den EuGH geklärten Anwendbarkeit der Brüssel I-VO auf in einem kontradiktorischen Verfahren ergangene einstweilige Maßnahme in Zivil- und Handelssachen stellt der BGH in seiner Entscheidung vier unterschiedliche Literaturansichten dar, wonach 1. diese Auslegung auf die Brüssel IIa-VO übertragbar sei, 2. weitergehend auch eine Nachholung rechtlichen Gehörs ausreiche, sofern die betreffende Maßnahme vom Gericht im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens erlassen worden sei, 3. alle durch Gerichte der Mitgliedstaaten getroffenen einstweiligen Maßnahmen unter das Anerkennungs- und Vollstreckungsregime der Brüssel IIa-VO fielen oder 4. dies nie der Fall sei, da sie nicht vom Entscheidungsbegriff nach Art. 2 Nr. 4 der VO erfasst seien.
Im Folgenden führt der BGH aus, dass nur bei Anwendung der Auffassung 3. die Art. 21 ff. Brüssel IIa-VO auf die spanische Maßnahme anwendbar seien. Nach den Meinungen zu 1. und 2. käme es auf die Gewährung rechtlichen Gehörs im Ursprungsstaat an, und nach Meinung 4. scheide eine grenzüberschreitende Anerkennung und Vollstreckbarerklärung aus.
Hinweis
Zweifel an der Vollstreckbarkeit einer ausländischen einstweiligen Maßnahme zum Sorgerecht können immer dann entstehen, wenn das Ursprungsgericht seine Zuständigkeit nicht ausdrücklich auf Art. 8 ff. Brüssel IIa-VO gestützt hat und sich die Hauptsachezuständigkeit nicht offensichtlich aus der erlassenen Entscheidung ergibt.
Ist dies nicht der Fall, ist die Entscheidung nicht nach den Zuständigkeitsvorschriften der Brüssel IIa-VO ergangen. Schwierigkeiten bei der Vollstreckbarerklärung lassen sich dadurch vermeiden, dass das Ursprungsgericht seine Zuständigkeit ausdrücklich auf Art. 8 ff. Brüssel IIa-VO stützt.
Link zur Entscheidung
BGH, Beschluss vom 09.02.2011, XII ZB 182/08