1 Hintergründe und Grundlagen des Elternunterhaltes
1.1 Allgemeines zum Elternunterhalt
Der Elternunterhalt hat in der anwaltlichen Praxis bis zur grundlegenden Entscheidung des BGH vom 23.10.2002 ein Schattendasein geführt. Im Laufe der nachfolgenden Jahre gewann die Thematik des Elternunterhaltes aber immer mehr an Bedeutung, was sich u. a. in der Anzahl der veröffentlichten höchst- und obergerichtlichen Entscheidungen zum Elternunterhalt widerspiegelte. Lange Zeit war der Elternunterhalt aus der Praxis des Familienanwaltes angesichts des demografischen Wandels in Deutschland und der zunehmenden Inanspruchnahme von Kindern durch die Sozialämter nicht mehr hinwegzudenken. Grundlegend geändert hat sich dies mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Entlastung unterhaltsverpflichteter Angehöriger in der Sozialhilfe und in der Eingliederungshilfe (Angehörigen-Entlastungsgesetz) zum 1.1.2020.
Der Elternunterhalt ist – ebenso wie der Kindesunterhalt – eine Form des Verwandtenunterhaltes. Nach § 1601 BGB sind nur Verwandte in gerader Linie verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren. In gerader Linie verwandt sind wiederum nach § 1589 Abs. 1 Satz 1 BGB Personen, deren eine von der anderen abstammt. Nicht für einander unterhaltspflichtig sind Verschwägerte (§ 1590 BGB) oder lediglich in der Seitenlinie verwandte Personen im Sinne des § 1589 Abs. 1 Satz 2 BGB, wie z. B. Geschwister. Auf den Verwandtschaftsgrad kommt es allerdings nicht an, so dass nicht nur Eltern und Kinder einander unterhaltspflichtig sind, sondern auch Großeltern und Enkel.
1.2 Das Angehörigen-Entlastungsgesetz
Zum 1.1.2020 ist das Gesetz zur Entlastung unterhaltsverpflichteter Angehöriger in der Sozialhilfe und in der Eingliederungshilfe (Angehörigen-Entlastungsgesetz) vom 10.12.2019 in Kraft getreten. Mit dem Angehörigen-Entlastungsgesetz wurden unterhaltsverpflichtete Eltern und Kinder von Menschen entlastet, die Leistungen der Hilfe zur Pflege oder andere Leistungen der Sozialhilfe erhalten. Dies wird insbesondere dadurch bewirkt, dass auf ihr Einkommen erst ab einem Jahresbetrag von mehr als 100.000 EUR zurückgegriffen werden kann.
1.2.1 Änderungen durch das Angehörigen-Entlastungsgesetz
Die damaligen für den Elternunterhalt relevanten zentralen gesetzlichen Änderungen beziehen sich auf die Vorschriften zum zu berücksichtigenden Einkommen und den Regress (§§ 43, 94 SGB XII). Die Vorschriften sind in § 94 Abs. 1a SGB XII zusammengefasst. Dort heißt es wörtlich:
"Unterhaltsansprüche der Leistungsberechtigten gegenüber ihren Kindern und Eltern sind nicht zu berücksichtigen, es sei denn, deren jährliches Gesamteinkommen im Sinne des § 16 des Vierten Buches beträgt jeweils mehr als 100 000 Euro (Jahreseinkommensgrenze). Der Übergang von Ansprüchen der Leistungsberechtigten ist ausgeschlossen, sofern Unterhaltsansprüche nach Satz 1 nicht zu berücksichtigen sind. Es wird vermutet, dass das Einkommen der unterhaltsverpflichteten Personen nach Satz 1 die Jahreseinkommensgrenze nicht überschreitet. Zur Widerlegung der Vermutung nach Satz 3 kann der jeweils für die Ausführung des Gesetzes zuständige Träger von den Leistungsberechtigten Angaben verlangen, die Rückschlüsse auf die Einkommensverhältnisse der Unterhaltspflichtigen nach Satz 1 zulassen. Liegen im Einzelfall hinreichende Anhaltspunkte für ein Überschreiten der Jahreseinkommensgrenze vor, so ist § 117 anzuwenden. Die Sätze 1 bis 5 gelten nicht bei Leistungen nach dem Dritten Kapitel an minderjährige Kinder."
Demnach ist der Anspruchsübergang bis zu einem Gesamteinkommen von 100.000 EUR ausgeschlossen. Bei den 100.000 EUR handelt es sich um einen pauschalen Wert, der an dem Bruttoeinkommen anknüpft. Dieser Grenzbetrag gilt für jeden Unterhaltspflichtigen individuell. Eine Addition der Einkommen von Ehe- oder Elternpaaren findet nicht statt.
1.2.2 Berechnung der Einkommensgrenze von 100.000 EUR
§ 94 Abs. 1a SGB XII verweist auf § 16 SGB IV, soweit es um die Ermittlung der Einkommensgrenze von 100.000 EUR geht. Gemäß § 16 SGB IV ist Gesamteinkommen die Summe der Einkünfte i. S. des Einkommenssteuerrechts. Hierunter fallen nach § 2 Abs. 3 EStG Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb, selbstständiger Arbeit, nichtselbstständiger Arbeit, Kapitalvermögen, Vermietung und Verpachtung sowie sonstige Einkünfte i. S. d. § 22 EStG. Bei den Einkünften aus selbstständiger Arbeit zählt der Gewinn vor Steuern. Bei den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit, Kapitalvermögen, Vermietung und Verpachtung ergeben sich die Einkünfte aus dem Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten. Private Nutzungen (z. B. Dienstwagen) sind mit steuerlichen Werten zuzurechnen (vgl. §§ 6, 8 Abs. 2 EStG). Betriebsausgaben (§ 4 EStG) und Werbungskosten (§ 9 EStG) sind bei der jeweiligen Einkunftsart in tatsächlicher Höhe von den Erträgen abzusetzen. Kinderbetreuungskosten sind bis zu der nach § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG abziehbaren Höhe zu berücksichtigen (§ 2 Abs. 5a S. 2 EStG).
Das folgende Rechenschema kann zur Ermittlung der Einkommensgrenze herangezogen werden:
Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft
+ Einkünfte aus Gewerbebetrieb
+ Einkünfte aus selbständiger Arbeit
+ Einkünfte aus nichtselbständige...