Rz. 436
Die Pflichten (duties) der Geschäftsführer nach dem Common Law wurden nach der Rechtsprechung der englischen Gerichte in bestimmte Fallgruppen eingeteilt. Es wurde zwischen den sog. Loyalitäts- und Treuepfllichten (sog. fiduciary duties) einerseits und der Pflicht zur sorgfältigen Geschäftsführung (duty of care and skill) andererseits unterschieden:
aa) Die sog. Loyalitäts- und Treuepflichten
Rz. 437
Die sog. fiduciary duties haben ihren Ursprung im trust law und basieren auf der besonderen Treuestellung eines Organs zur Gesellschaft, welche ihren Ausdruck in einer dem deutschen Treuhänder vergleichbaren Pflichtenstellung und Haftung findet. In diesem Bereich hat die Rechtsprechung durch das Common Law weit gehend die Treuepflichten und Verhaltenspflichten der Organe für bestimmte Lebenssachverhalte herausgearbeitet.
Rz. 438
Die sog. Loyalitäts- und Treuepfllichten (sog. fiduciary duties) sind diversifiziert ausgeprägt. Sie unterscheiden zwischen der Pflicht, nur im objektiv besten Interesse der Gesellschaft zu handeln (duty to act in good faith, duty to act with a proper purpose), der Pflicht, Gewinne aufzudecken, wenn der Geschäftsführer eine Geschäftschance der Gesellschaft selbst wahrnimmt oder gegen ein Wettbewerbsverbot verstößt (duty to disclose secret profits), der Pflicht, Interessenkonflikte zu vermeiden (duty to avoid conflicts of interest), und der Pflicht, bei Entscheidungen und Ausübung von Satzungskompetenzen ohne Ermessensfehler zu handeln (duty not to fetter discretion). Sec. 170 Abs. 3 und 4 CA 2006 nimmt diese Rechtstradition auf und gibt vor, dass die Kodifikationen in der Rechtstradition der Common Law-Pflichten auszulegen sind. Sec. 178 CA 2006 bestimmt, dass auch die Rechtsfolgen des Common Law bei Verstößen heranzuziehen sind.
bb) Die Treuepflichten (Sec. 171–173, 175–177 CA 2006)
(1) Duty to act in good faith/within powers, duty to act with a proper purpose/promote success of the company, duty not to fetter discretion/exercise independent judgement
Rz. 439
Die erste Untergruppe von Pflichten in diesem Bereich (duty to act in good faith; duty to act with a proper purpose; duty not to fetter discretion) bezweckt die Beschränkung der umfassenden Geschäftsführungsbefugnis der Geschäftsführer. Die durch das Fallrecht entwickelten Beschränkungen wirken hierbei sowohl auf die Ausübung von Satzungskompetenzen der Geschäftsführer im Innenverhältnis als auch für Geschäftsführungsmaßnahmen, die das Außenverhältnis der Gesellschaft betreffen. In diesem Bereich gilt die Verpflichtung der Geschäftsführer, nur im objektiv besten Interesse der Gesellschaft (bona fide interest of the company) zu handeln. Die Prüfung, ob der Geschäftsführer dieser Anforderung genügt hat, beinhaltet eine Prüfung sowohl der Motive des Handelns des Geschäftsführers (subjektives Element) als auch der objektiv erkennbaren Zwecksetzung der Geschäftsführungsmaßnahme (objektives Element). Eine Pflichtverletzung kann daher entweder aus einem unerlaubten Motiv heraus als auch bei der gutgläubigen Ausführung einer Geschäftsführungsmaßnahme eintreten, die objektiv nicht einen dem Nutzen der Gesellschaft dienenden Zweck fördert. Beispiele aus der Rechtsprechung betreffen vorwiegend die Ausgabe neuer Anteile im Rahmen des genehmigten Kapitals. Die Geschäftsführer haben in den entschiedenen Fällen diese Satzungskompetenz regelmäßig aus unlauteren Motiven ausgeübt, indem sie z.B. Anteile an Gesellschafter ausgegeben haben, die ihnen die Kontrolle über die Gesellschaft gesichert haben, oder indem sie die Anteile im Zusammenhang mit einem Übernahmeangebot ausgegeben haben, um einem bestimmten Erwerber einen Vorteil zu verschaffen, anstatt sicher zu stellen, dass die Gesellschafter den bestmöglichen Preis für ihre Anteile erzielen konnten. Andere Beispiele betreffen die Verfolgung eines objektiv nicht gerechtfertigten Zwecks bei der verweigerten Registrierung von neuen Gesellschaftern im Gesellschafterbuch, einer mangelhaften Information der Gesellschafter, der Einziehung von Anteilen, dem Aufruf von Kapital nur gegenüber einzelnen Gesellschaftern, der unterschiedlichen Aushandlung von Verträgen über eine Anteilszeichnung mit unterschiedlichen Anforderungen zwischen den Bezugsberechtigten einer Anteilsklasse und die verweigerte Einberufung der Gesellschafterversammlung.
(2) Duty to disclose secret profits, duty to avoid conflicts of interest, not to accept benefits from third parties
Rz. 440
Die zweite Untergruppe von Pflichten (duty to disclose secret profits; duty to avoid conflicts of interest) zielt auf den Erhalt des Vermögens der Gesellschaft ab. Die Gerichte haben anhand des Fallrechts Verbote entwickelt, nach denen die Geschäftsführer an Geschäften der Gesellschaft kein wirtschaftliches Eigeninteresse haben dürfen und Interessenkollisionen zwischen Eigeninteressen und Interessen der Gesellschaft aufdecken müssen. Ein wesentlicher Bereich des Fallrechts beschreibt Konstellationen, in denen die Geschäftsführer nicht die Gesellschaft zu deren eigenem Nutzen rechtsgeschäftlich verpflichtet, sondern noch nicht realisierte Geschäftschancen der Gesellschaft stattdessen persönlich verfolgt haben.
cc) Die Pflicht zur sorgfältigen Geschäftsführung (Sec. 174 CA 2006)
Rz. 441
Daneben tritt die Pflicht zur sorgfältigen Erledigung der übertragenen Aufgaben (duty of care ...