I. Kapitalaufbringung
1. Begriffsabgrenzungen und Mindestkapital
Rz. 135
Das englische System der Kapitalaufbringung und der Kapitalerhaltung ist grundsätzlich vom deutschen Konzept zu unterscheiden. In vielen Fällen beträgt das Nominalkapital nur ein oder zwei britische Pfund pro Anteil. Die folgenden Begriffe sind zu unterscheiden:
Rz. 136
Stammkapital im herkömmlichen Sinne ist das Nominalkapital (share capital). Hierbei handelt es sich um das Kapital, welches anfänglich aus den Angaben im Memorandum bzw. dem Statement of Capital (Sec. 10 CA 2006) bei der Gründung folgt. Da jeder Gründungsgesellschafter mindestens einen Anteil zeichnen und dieser Anteil auch einen Nominalwert haben muss, beträgt das niedrigste mögliche Stammkapital bei einem ausgegebenen Anteil in englischen Pfund 1 Penny.
Rz. 137
Das sog. aufgezahlte Kapital (paid-up capital) und das aufgerufene Kapital (called up capital) sind zu unterscheiden. Aufgezahltes Kapital ist der Betrag, der auf das ausgegebene Nominalkapital ohne Agio (share premium) eingezahlt worden ist. Aufgerufenes Kapital ist die Summe aus eingezahltem und von der Gesellschaft eingefordertem Kapital (Sec. 547 CA 2006).
Rz. 138
Ausgegebenes Kapital (issued capital) und genehmigtes Kapital (authorised capital): Das genehmigte Kapital (authorised capital) legte die Gesellschaft unter dem CA 1985 im Memorandum fest. Es beschrieb, wie viel Kapital höchstens zur Zeichnung vorgesehen werden durfte. Das tatsächlich ausgegebene Kapital (issued capital) war hiervon zu unterscheiden. Unter dem CA 2006 ist die Figur des authorised capitals als Obergrenze der ausgebbaren Anteile seit dem 1.10.2006 für neugegründete Ltd.s abgeschafft worden. Für Gesellschaften, die vor diesem Zeitpunkt gegründet wurden, gelten die Regelungen zum authorised capital im Memorandum nunmehr als Bestimmungen der Articles und dürfen durch Gesellschafterbeschluss mit einfacher Mehrheit aufgehoben werden. Die Abschaffung des Erfordernisses, ein authorised capital zu definieren, beruht darauf, dass dieses unter dem Gesichtspunkt des Gläubigerschutzes nichts bewirkte.
Rz. 139
Nach englischem Gesellschaftsrecht muss eine Ltd. kein gesetzliches Mindestkapital aufweisen. Dies beruht auf der unter englischen Gesellschaftsrechtlern bezweifelten Effizienz des Mindestkapitals zum Schutz der Gläubiger, da nach der vorherrschenden Auffassung ein solches Mindestkapital abhängig von der Risikoneigung des Geschäftszwecks der konkreten Gesellschaft und nicht abstrakt für alle Branchen vorgegeben werden könne. Aufgrund dieser Tatsache finden sich auch sehr selten Ltd.s, bei denen das ausgegebene Kapital nicht bereits bei der Gründung vollständig eingezahlt wird. Da es ohne Probleme möglich ist, einen Kapitalbetrag frei zu wählen, den die Gesellschafter bei der Gründung sofort leisten können, basiert das englische Gesellschaftsrecht und damit auch die Mustersatzung in Table A, Art. 21 Abs. 1 auf dem Vorstellungsbild, dass "die typische Ltd." über eine Anteilsklasse an ordinary shares verfügt (siehe Rdn 272) und die Gesellschaftereinlagen sofort vollständig erbracht werden.
2. Rechtsbeziehungen bei der Anteilsausgabe
Rz. 140
Anteile an einer Gesellschaft können grundsätzlich auf zwei verschiedene Arten erworben werden: Zum einen können sie derivativ erworben werden, d.h. im Wege der Einzel- oder Gesamtrechtsnachfolge von einem Gesellschafter auf den Erwerber übertragen werden (siehe ausf. Rdn 338 ff.). Nicht betrachtet werden soll der Erwerb von Gesellschaftsanteilen im Wege eines Mitarbeiterbeteiligungsprogramms. Daneben können Gesellschaftsanteile originär erworben werden, d.h. durch eine Gründung/Kapitalerhöhung mit Anteilsausgabe geschaffen werden, deren Voraussetzungen nachfolgend dargestellt werden.
Rz. 141
Es soll kurz auf die Rechtsbeziehungen zwischen dem Gesellschafter und der Gesellschaft eingegangen werden, wenn Gesellschaftsanteile im Wege einer Anteilsausgabe gegen Gesellschafterleistungen ausgegeben werden. Die Darstellung an dieser Stelle konzentriert sich darauf, dass es um eine Anteilsausgabe nach der Gründung der Gesellschaft geht. Die Anteilsausgabe im Rahmen der Gesellschaftsgründung wurde bereits in Rdn 118 ff. erläutert. Sie unterscheidet sich hinsichtlich der in Rdn 144–150 dargestellten Möglichkeiten der Leistung der Gesellschaftereinlage nicht von der Anteilsausgabe nach Gründung der Gesellschaft. Unterschiede bestehen nur hinsichtlich des Rechtsverhältnisses zwischen der Gesellschaft und dem Gesellschafter, das bei der Gründung auf der Basis der Articles und des Memorandum (Sec. 16 Abs. 5, 559 CA 2006) besteht und bei einer späteren Anteilsausgabe auf einem Vertrag (contract of allotment) beruht.
Rz. 142
Ein solches Vertragsverhältnis setzt voraus, dass eine Einigung zwischen dem Erwerber der Anteile und der Gesellschaft über
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die Höhe der zu erbringenden Gesellschaftereinlage, |
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den Zeitpunkt, an dem die Gesellschaftereinlage zu leisten ist, |
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di... |