Rz. 291
In Sec. 994 CA 2006 wurde vom Gesetzgeber das bereits früher parallel zu den bisher geltenden Grundsätzen des Case Law existierende Rechtsschutzsystem bei Gesellschafterklagen vorwiegend zum Schutz der Minderheitsgesellschafter fortgeführt. Auch dieser Rechtsschutz ist von den Gerichten mit einer Einzelfallrechtsprechung überfrachtet worden, so dass die Reformüberlegungen zur Abschaffung der Rule in Foss vs. Harbottle und von Sec. 459 CA 1985 tendierten (Law Commission Report on Shareholder Remedies). Die entsprechenden Klauseln der Company Law Reform Bill ersetzten die Regel in Foss vs. Harbottle zwar inhaltlich nicht, kodifizierten sie aber zumindest und legten ein neues Verfahren für solche Klagen fest, welches den Gerichten zwar solche der Foss vs. Harbottle-Rechtsprechung entlehnte, aber modernere, flexiblere und verständlichere Kriterien an die Hand gibt. Nunmehr regeln Sec. 994–999 CA 2006 die maßgeblichen Fragen.
Rz. 292
Die Klagebefugnis nach Sec. 994 CA 2006 setzt voraus, dass der Kläger ein Verhalten rügt, welches treuwidrig (unfairly prejudicial) in Angelegenheiten der Gesellschaft (in the affairs of the company) ist und ihn in seiner spezifischen Stellung als Gesellschafter (member) betrifft. Es handelt sich beim gerichtlichen Vortrag des Klägers um sog. doppelrelevante Tatsachen, da Zulässigkeits- und Begründetheitsvoraussetzungen der Klage weit gehend identisch sind. Die Klagen aus diesem Rechtsbehelf sind typischerweise anzutreffen bei Ltd.s, deren Gesellschafterkreis überschaubar ist, wie z.B. in Familiengesellschaften. Klagen werden in der Praxis unter anderem erhoben in Fällen der Veruntreuung von Vermögenswerten, von disquotalen Anteilsausgaben, von schlechter Geschäftsführung, von Verletzung von Satzungsrechten und nicht angemessener Ausübung von Satzungsrechten gegenüber einzelnen Gesellschaftern, der Abberufung von Gesellschafter-Geschäftsführern und der Nicht-Ausschüttung von Dividenden.
Rz. 293
Die Spruchpraxis der englischen Gerichte ist deutlich großzügiger geworden. Während früher treuwidriges Verhalten einem Verstoß gegen die Satzung (established illegalities) entsprechen musste, kommen nun auch Handlungen in Betracht, die nach dem Erwartungshorizont der Gesellschafter bei Vereinbarung der jeweiligen Satzungsbestimmung treuwidig erscheinen (independently unlawful conduct). Nach dem hierzu ergangenen Fallrecht ist der Maßstab zur Prüfung eines treuwidrigen Verhaltens nach einer Wertung im Einzelfall zu bestimmen. Es wird geprüft, ob der Kläger eine berechtigte Erwartung (sog. legitimate expectation) haben konnte, dass ihn betreffende Geschäftsführungsmaßnahmen oder Satzungsbefugnisse von der Mehrheit der Gesellschafter in einer angemessenen und nicht treuwidrigen Weise unter Berücksichtigung seiner Interessen durchgeführt bzw. ausgeübt werden. In der wichtigsten Entscheidung zu Sec. 459 CA 1985 hat das House of Lords im Jahr 1999 jedoch strenge Vorgaben gemacht, unter denen überhaupt aus Sicht des Klägers eine berechtigte Erwartung angenommen werden darf, gegenüber der das gerügte Verhalten als treuwidrig angesehen werden kann.
Rz. 294
Interessant ist die Bandbreite der gerichtlichen Regelungsbefugnis bei einer begründeten Klage. Das Gericht kann, soweit es vom Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen überzeugt ist, Abhilfe nach eigenem Ermessen treffen und sich von den beantragten Abhilfemöglichkeiten des Klägers lösen (Sec. 996 CA 2006). In den meisten Fällen läuft dies auf eine Verpflichtung der Mehrheitsgesellschafter auf Auszahlung der Minderheitsgesellschafter (share purchase order, gerichtlich betriebener squeeze-out) hinaus. Gestritten wird in der Praxis meist dann um den gerichtlich festzusetzenden Kaufpreis und um die Frage des Wertermittlungsstichtages sowie des Wertes der Gesellschaftsanteile. Im Rahmen des Reformprozesses wurde vorgeschlagen, die Mustersatzung in Table A um ein Austrittsrecht von Minderheitsgesellschaftern zu ergänzen. Dies wurde nicht umgesetzt.