1. Gesetzliche Insolvenzgründe
Rz. 505
Im Rahmen einer zwangsweisen Abwicklung kennt das englische Recht für die Ltd. in Sec. 122 Insolvency Act 1986 mehrere Insolvenzgründe. In der Praxis sind am häufigsten anzutreffen die folgenden Insolvenzgründe:
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ein Auflösungsbeschluss, in dem die Gesellschafterversammlung mit einer ¾-Mehrheit die Auflösung der Gesellschaft durch das Gericht beschließt; |
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die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft; |
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eine Auflösungsklage durch einzelne Gesellschafter; |
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das Absinken der Gesellschafterzahl auf weniger als zwei Gesellschafter (mit Ausnahme der als Ein-Mann-Ltd. gegründeten Gesellschaften). |
Rz. 506
Ein Überblick zur Auflösungsklage wurde bereits an anderer Stelle gegeben (siehe Rdn 295 ff.) und soll hier nicht weiter vertieft werden. Im Folgenden soll nur der Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit hervorgehoben werden.
Rz. 507
Die Zahlungsunfähigkeit einer Gesellschaft ist nach der gesetzlichen Definition gegeben, wenn die Gesellschaft ihre laufenden Verbindlichkeiten nicht erfüllen kann. Das Gesetz fingiert die Zahlungsunfähigkeit (Sec. 123 Insolvency Act 1986), wenn
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ein Gläubiger, dem die Gesellschaft einen Betrag von mehr als 750 britische Pfund schuldet, die Gesellschaft schriftlich zur Zahlung auffordert und die Gesellschaft drei Wochen nach der Aufforderung noch nicht geleistet hat; oder |
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fruchtlose Vollstreckungsmaßnahmen eines Gläubigers stattfinden; oder |
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eine gerichtliche Prüfung zu dem Ergebnis führt, dass die Gesellschaft ihren fälligen Verbindlichkeiten nicht nachkommen kann. Im Rahmen der gerichtlichen Prüfung, welche zu einer Fiktion der Zahlungsunfähigkeit führt, ist – für das deutsche Verständnis sehr ungewöhnlich – auch eine Prüfung der Überschuldung der Gesellschaft möglich. Das Gesetz fingiert die Zahlungsunfähigkeit auch, wenn das Gericht zu der Überzeugung kommt, dass die Vermögenswerte der Gesellschaft niedriger als ihre gegenwärtigen, zukünftigen sowie bedingten Verbindlichkeiten sind (Sec. 123 Abs. 2 Insolvency Act 1986). |
Rz. 508
Gläubiger, die sich auf die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft berufen wollen, müssen entweder unter Darlegung der vorgenannten Tatsachen oder mit dem Antrag auf gerichtliche Prüfung beim zuständigen Insolvenzgericht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragen. Allerdings verwehrt die Rechtsprechung Gläubigern ein Antragsrecht, wenn die Forderung des Gläubigers von der Gesellschaft substantiell bestritten wird. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann wegen Zahlungsunfähigkeit aber auch von den Geschäftsführern beantragt werden. Ein Antragsrecht steht auch den gegenwärtigen und früheren Gesellschaftern (sog. contributaries) zu, aber nur dann, wenn die Anzahl der Gesellschafter nicht unter zwei abgesunken ist und sie ihre Anteile mindestens 18 Monate gehalten haben (Sec. 124 Abs. 2 Insolvency Act 1986).
2. Vertragliche Insolvenzgründe
Rz. 509
Eine weitere Eigentümlichkeit des englischen Rechts (Sec. 29 Insolvency Act 1986) besteht darin, dass Gläubigern mit einer floating charge im Kreditsicherungsvertrag das Recht eingeräumt werden kann, einen Vermögensverwalter (receiver) zu bestellen (sog. administrative receivership). Auch dieses Verfahren läuft weitest gehend ohne die Mitwirkung des Insolvenzgerichts ab. Der Gläubiger bestellt den Verwalter durch schriftliche Anzeige gegenüber der Gesellschaft, wenn bei Fälligkeit seine Forderung nicht befriedigt wird. Das Verfahren ist auf die Befriedigung dieses Gläubigers gerichtet. Es müssen jedoch auch in diesem Zusammenhang vorrangige andere Gläubiger und die nicht gesicherten Gläubiger befriedigt und etwaige Überschüsse an die Gesellschafter ausgekehrt werden, wenn die Zerschlagung der Gesellschaft hierfür notwendig ist. Das Verfahren kann unter weiteren Voraussetzungen auch in einem Insolvenzverfahren aufgehen.
Rz. 510
Mit seiner Ernennung nimmt der Verwalter das Vermögen der Gesellschaft in Besitz, welches durch die floating charge besichert ist. Die Kompetenzen der Geschäftsführer werden in Bezug auf die gesicherten Vermögensgegenstände suspendiert. Die Geschäftsführer werden jedoch nicht abberufen und haben im Übrigen ihre Pflichten zur Erstellung von Jahresabschlüssen und die weiteren Dokumentationspflichten des Tagesgeschäfts gegenüber dem Register weiter zu erfüllen. In der Rechtspraxis sind die Kompetenzen des Verwalters in einem Anhang zum Gesetz niedergelegt (Schedule 1 und Sec. 42 Insolvency Act 1986), können aber im Sicherungsvertrag modifiziert werden.
Rz. 511
Der Verwalter hat volle Vertretungsmacht für die Gesellschaft. Das Verfahren hat Einwirkung auf Verträge, die vor seinem Beginn abgeschlossen worden sind, da der Verwalter die Erfüllung der Verträge verweigern darf und dem Gläubiger eines solchen vertraglichen Anspruchs nur noch ein Schadensersatzanspruch zusteht. Titel gegen die Gesellschaft, die vor dem Beginn des Verfahrens entstanden sind, müssen jedoch erfüllt werden. Der Verwalter kann auch neue Verpflichtungen der Gesellschaft begründen, er ist bei Ausfall dieser Verbindlichkeiten jedoch u.U. persönlich ha...